Zum Richtfest der „Aktionstage Gefängnis“

 Am 7. November 2017 fand die Auftaktveranstaltung zu den ersten „Aktionstagen Gefängnis“ in Deutschland statt. Etwa 40 Personen waren bei der erfolgreichen Premiere in der Berliner Caritas-Zentrale dabei.

Zu Beginn erläuterte Jean Caël, verantwortlicher Mitarbeiter der Aktionstage für die Caritas Frankreich (Secours Catholique), Sinn und Zweck der Aktionstage bei unserem Nachbarn: „Die Veranstaltungen im Rahmen der Aktionstage Gefängnis sollen die Öffentlichkeit, die sich in allen Ländern immer leichter mit den Opfern als mit den Tätern identifiziert, aufklären. Sie sollen Vorurteile entkräften und daran erinnern, dass jeder Mensch einen Anspruch auf Würde hat und nicht allein auf seine Tat reduziert werden darf. Die Aktionstage haben zum Ziel, sowohl die Mitbürger davon zu überzeugen, dass es im eigenen Interesse wichtig ist, straffällig gewordenen Menschen die Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen als auch zu zeigen, dass Vereine einen bedeutenden Beitrag zur Reintegration leisten können.

Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion zum Thema der Auftaktveranstaltung „ANGEFANGEN! Selbstorganisation/Mindestlohn/Sozialversicherung“ statt. Es diskutierten Oliver Rast (GG/BO – Gefangenen-Gewerkschaft – Bundesweite Organisation), Martina Franke (GG/BO, Soligruppe Berlin), Rechtsanwalt Dr. Sven-Uwe Burkhardt (Vertretungsprofessor an der Fachhochschule Dortmund) und Günter Danek (Vorstandsmitglied der Katholischen Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe). Im Laufe der von Karin Vorhoff vom Deutschen Caritasverband geleiteten Podiumsdiskussion wurde sichtbar, dass von Seiten der Bündnispartner der Aktionstage Konsens darüber besteht, dass die extrem niedrigen Entgelte für die Zwangsarbeit deutlich erhöht werden müssen. In diesem Kontext gehe es auch darum, so die Diskutanten, endlich die vor vier Jahrzehnten versprochene Einbindung der Gefangenen in die Rentenversicherung umzusetzen. Es müsse endlich Schluss damit sein, dass eine längere Freiheitsstrafe zwangsläufig Altersarmut nach der Entlassung nach sich ziehe. Der Resozialisierungsgedanke im Strafvollzug gebiete es vielmehr, Inhaftierte darin zu stärken, Verantwortung für die eigene Zukunft zu übernehmen. Dies sei ohne Rentenanwartschaften aus der Haft doppelt schwierig und führe dazu, dass straffällig gewordene Menschen im Alter auf die Grundsicherung angewiesen seien. Thema der Diskussion war auch die Rolle der GG/BO –Gefangenen-Gewerkschaft. In der Gefangenen-Gewerkschaft sind ca. 1000 Gefangene organisiert, die für ihre vorenthaltenen Rechte, insbesondere den Mindestlohn und die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung, kämpfen. Die GG/BO wies auf erhebliche Widerstände seitens der Justiz hin, die die gewerkschaftliche Arbeit vielerorts einschränkt oder behindert. Oliver Rast fordert vor diesem Hintergrund die volle Gewerkschaftsfreiheit im Gefängnis.

Die Zukunftsperspektive des Bündnisses „Aktionstage Gefängnis“ wurde zum Schluss von Anaïs Denigot (BAG-S) vorgestellt. Angelehnt an das französische Modell möchte das Bündnis sowohl kleine Vereine und Initiativen als auch große Organisationen und Verbände motivieren, flächendeckend in Deutschland lokale Veranstaltungen zu organisieren. Diese Einzelveranstaltungen sollen darauf zielen, über das Leben im Gefängnis, aber auch über die Funktion des Gefängnissystems in unserer Gesellschaft kritisch nachzudenken. Inhaltlich dienen die Gefängnistage dazu, die Auswirkungen der Freiheitsstrafe – und mit ihr die des Gefängnisses als System – für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Dazu möchte das Bündnis Bürgerinnen und Bürger ansprechen, die nicht selbst betroffen sind und vielleicht noch nie über das Gefängnis nachgedacht haben. Die Gefängnistage zielen demnach darauf ab, eine breite Öffentlichkeit über die derzeitige Ausgestaltung des Strafvollzugs und den politischen Reformbedarf zu informieren.

 

Fazit der Auftaktveranstaltung:  Die sozialen Belange von straffällig gewordenen Menschen und ihren Familien kümmern die wenigsten Politiker und sind kaum Thema der öffentlichen Diskussion. Aus diesem Grunde möchte das Bündnis „Aktionstage Gefängnis“ ein starkes Signal an die Politik senden: Schritte zur sozialen und sozialrechtlichen Eingliederung von Inhaftierten, wie etwa die angemessene Vergütung der Zwangsarbeit oder die Einbindung in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung, sind überfällig. Es ist an der Zeit, nicht nur darüber zu reden, sondern auch zu agieren! Die Koalitionäre von CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind aufgerufen, für die kommende Legislaturperiode einen Fahrplan zur umfänglichen sozialrechtlichen Einbeziehung straffällig gewordener Menschen vorzulegen.

 

Mitglieder im Bündnis sind: 

Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S), Deutsche AIDS-Hilfe e.V., Europäisches Forum für angewandte Kriminalpolitik e.V., Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, Gefangenen-Gewerkschaft  – Bundesweite Organisation (GG/BO), Freie Hilfe Berlin e.V. Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe, Gruppe Kiralina - Kein Knast steht für immer, Katholische Bundes-Arbeitsgemeinschaft im Deutschen Caritasverband (KAGS), Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Strafvollzugsarchiv, Redaktionskollektiv „Wege durch den Knast“.