Bundestagung 2023 - Ein Rückblick

Am 27. und 28. November fand in den Räumen der Berliner Stadtmission in Berlin die Bundestagung der BAG-S statt, bei der rund 180 Teilnehmer:innen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenkamen. Die hohe Teilnehmer:innenzahl deutete bereits darauf hin, dass das Thema vielen Mitarbeiter:innen in der freien Straffälligenhilfe, im Strafvollzug und angrenzenden Arbeitsbereichen besonders wichtig ist: Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen werden im Strafvollzug oft unzureichend versorgt, was zu teilweise unzumutbaren Situationen führt. Diese Umstände stellen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Personal im Vollzug eine erhebliche Belastung dar. Die Entlassung aus der Haft birgt große Herausforderungen, da u.a. der Zugang zu geeigneten therapeutischen Behandlungen hohe Barrieren aufweist.

Wir möchten uns bei allen Teilnehmer:innen für die anregenden Diskussionen und bei den Referent:innen für ihre informativen Beiträge bedanken!

Zwei Tage Vorträge und Diskussion

Die zweitägige Veranstaltung begann mit der Eröffnung durch die Vorstandsvorsitzende der BAG-S, Alexandra Weingart. Sie informierte darüber, dass im März 2022 ein Expert:innengespräch stattgefunden hatte, welches auf die unzureichende Versorgung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen im Strafvollzug und nach der Entlassung hinwies. Anschließend präsentierte sie das Tagungsprogramm.

Die Einführung ins Thema erfolgte durch Prof. Dr. Torsten Verrel von der Universität Bonn. In seinem Vortrag „Psychisch krank Strafgefangene – Situation, Daten und Fakten" beleuchtete er die Forschungslage, die eindeutig hohe Prävalenzraten psychischer Störungen bei Strafgefangenen aufzeigt, wobei substanzbezogene Störungen eine herausragende Rolle spielen. Demgegenüber steht, wie er den Bericht der Expertenkommission des Justizvollzugs aus Nordrhein-Westphalen zitierte, eine „strukturell und quantitativ völlig unzureichende" Versorgung.

Michaela Schätz, Leiterin der Einweisungsabteilung der JVA Moabit in Berlin, präsentierte im Anschluss die Situation aus der Sicht einer Justizvollzugsanstalt in ihrem Vortrag "Möglichkeiten des Justizvollzugs zur Versorgung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Wie kann der Übergang gut gelingen?"

(Graphic Recording von Dominique Kleiner)

Die beiden folgenden Workshops behandelten den Übergang von den JVAen in die Freiheit:

Tobias Beleke stellte die Entlassungsvorbereitung durch den Verein Bremische Straffälligenbetreuung vor und wies auf die Schwierigkeiten hin, einen geeigneten Ort der Nachsorge für Strafgefangene mit Sucht- und/oder psychischen Störungen zu finden.

Dr. Tatjana Voß berichtete von der Arbeit der Forensisch-Therapeutischen Ambulanz in Berlin. Sie wies auf die Schwierigkeiten von stationärer Therapie im Strafvollzug hin und beleuchtete die Vor- und Nachteile der ambulanten Nachsorge-Behandlung.

Helen Gehrt und Karsten Bisanz stellten die Arbeit des Rehabilitations-Zentrums Stadtroda gGmbH vor, das Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit erbringt. Beispielhaft wurde der Übergang eines Patienten aus der Forensik vorgestellt.

Sebastian Hämmerle und Nadine Engel berichteten von der Arbeit der Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e.V., die die Entlassungsvorbereitung in Berlin mit durchführen. Sie stellten die Probleme aber auch Lösungsansätze der Überführung aus dem Strafvollzug in die Eingliederungshilfe dar.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag von Dr. Mignon Drenckberg, die die „Sozialrechtlichen Ansprüche nach der Haftentlassung im Rahmen des SGB IX" darstellte und einen Überblick über den Zugang zur Eingliederungshilfe, die Bedarfsermittlung sowie die möglichen Leistungen gab.

Am Abend sind viele Teilnehmende zu einem gemeinsamen Abendessen in der Stadtmission zusammengekommen. Es haben anregende Gespräche stattgefunden.

Der zweite Tag begann mit einem Fokus auf besondere Bedarfe.

(Bild von Dominique Kleiner)

Prof. Dr. Christine Graebsch von der Fachhochschule Dortmund thematisierte die Schwierigkeiten von inhaftierten Personen mit Migrationserfahrung und stellte die These auf, dass Menschen ohne deutschen Pass strukturell benachteiligt werden.

Die besonderen Bedarfe von straffällig gewordenen Frauen wurden von Birte Steinlechner vom Sozialdienst katholischer Frauen Bayern vorgestellt. Sie stellte den Bedarf an frauenspezifischer Hilfe anhand der Themen Mutter-Kind-Vollzug, dem therapeutischen Behandlungsbedarf und der Notwendigkeit von frauenspezifischer Straffälligenhilfe dar.

Prof. Stefan Orlob thematisierte in seinem Vortrag „Welche Änderungen sind für eine bessere Gesundheitsfürsorge in Haft und nach der Haft notwendig?" grundsätzliche Probleme und Modellprojekte der psychiatrischen Versorgung im Strafvollzug und formulierte Bausteine eines erfolgreichen Übergangsmanagements.

Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion mit den Teilnehmenden Manuel Matzke (Gefangenengewerkschaft), Prof. Dr. Christine Graebsch (Fachhochschule Dortmund), Daniel Wolter (Vorstand BAG-S), Dr. Ulrich Lewe (Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie) und Sven Wolf (Mitglied des Landtags NRW, SPD), moderiert von Elke Bahl.

(Bild von Dominique Kleiner)

Ausblick

Drei zentrale Fragestellungen standen während der Tagung immer wieder im Fokus: Was macht eine gute Behandlung von Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen aus? Wie kann diese im Strafvollzug umgesetzt werden? Welche Strukturen müssen für eine professionelle Nachsorge geschaffen werden?

Die BAG-S wird diese Themen im nächsten Informationsdienst Straffälligenhilfe (01/2024) aufgreifen und auch die Beiträge der Tagung dokumentieren.