"Wie ist es, die Freiheit zu verlieren?"

Alexander Krützfeld nimmt den Leser auf eine Reise in eine unbekannte Welt mit – eine Reise ins Gefängnis. In der Reihe „Acht Häftlinge“ stellt der Autor in acht Folgen den Alltag im deutschen Strafvollzug vor. Seine Gesprächspartner heißen Karl, Emil, Moritz, Scholle, Julian, Thomas, Mark und Steffen. Ihre Gemeinsamkeit: Alle kennen das Gefängnis. Manche sind bereits entlassen worden, manche kommen früher oder später frei. Nur für einen ist nichts sicher: Steffen befindet sich in Sicherungsverwahrung. Krützfeld, freier Journalist aus Leipzig, hat sie alle kennengelernt und gefragt, wie sie über den Freiheitsentzug denken. 

Jede Folge stellt einen der Protagonisten in den Mittelpunkt. In beeindruckenden Portraits arbeitet der Autor sehr anschaulich heraus, wie die Betroffenen ihre Haft und das Gefängnissystems insgesamt erleben. Zur Sprache kommen auch die ambivalenten Erfahrungen mit dem Gefängnispersonal: Allgemeiner Vollzugsdienst, Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen. Krützfeld geht es aber nicht nur um die individuellen Geschichten der Gefangenen. Er versucht das Gefängnis in seiner Ganzheit und seinen typischen Funktionsmechanismen einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Mit seinem authentischen Stil schafft es der Autor, die Gefangenen als Menschen wie du und ich zu zeichnen. Sein Ziel: Vorbehalte und Ängste der Leser über das unbekannte Gefängnis und vor allem seine Insassen abzubauen. Der Bericht beleuchtet die Lebensbedingungen im Gefängnis und versteht sich als gesellschaftliches Plädoyer für mehr Offenheit gegenüber den Eingesperrten und Haftentlassenen. Krützfeld: „Warum haben wir Angst, wenn ein verurteilter Sexualstraftäter unser Nachbar wird? Sind es eigene Vorurteile? Strafe hat auch etwas mit uns als Gesellschaft zu tun. Und das Ausgrenzen, das Isolieren ist ein mächtiges Werkzeug. Wie wird es in Deutschland eingesetzt? Und hilft es? Oder brauchen wir tatsächlich härtere Strafen, am besten Wasser und Brot, wie es oft am Stammtisch heißt?“.**

Bemerkenswert ist, wie es Krützfeld gelingt, auch schwierige, tabubehaftete Themen in der Serie unterzubringen, ohne dass es voyeuristisch wird: Pädophilie, Suizid, Drogenabhängigkeit, Drogenkonsum und -entzug, Substitution, Schwarzmarkt, Übergriffe und sexuelle Gewalt, Sicherungsverwahrung, etc. 

Fazit: Die Artikelserie stellt eine gelungene Initiative dar, die widersprüchliche Welt des Gefängnisses sichtbar zu machen. Sie ist geeignet, den Diskurs über den „richtigen“ gesellschaftlichen Umgang mit strafbaren Handlungen neu zu beleben. 

Die einzelnen Beiträge stehen auch online zur Verfügung: http://gfx.sueddeutsche.de/apps/e280625/www/

 

* Der Titel ist ein Zitat aus: Acht Häftlinge, Folge 1, Gefangenen in der Ohnmacht, von Alexander Krützfeldt, Süddeutsche Zeitung. Online unter: http://gfx.sueddeutsche.de/apps/e171088/www/ 

** Acht Häftlinge, Crowfunding-Projekt unter: https://www.startnext.com/8haeftlinge