Wann fahren wir wieder zu Papa? - Bericht aus der Praxis einer Seelsorgerin über die seelischen Nöte von Kindern Inhaftierter.

Erst allmählich dringt in das gesellschaftliche Bewusstsein, dass zu jedem Menschen, der inhaftiert ist, auch eine Familie gehört und dass inhaftierte Männer und Frauen Väter und Mütter von Kindern sind.

Was geschieht mit diesen Kindern und ihren Kinderseelen, wenn ihnen oftmals ohne jede Vorahnung der Vater bzw. die Mutter durch die Verhängung und Verbüßung einer Freiheitsstrafe genommen und für unabsehbare Zeit nicht mehr greifbar ist?

Kinder inhaftierter Eltern müssen mit einer Vielzahl von Problemstellungen zurechtkommen. Sie erleben den Verlust eines Elternteils, Ungewissheit über die Ursache und Dauer der zwangsweisen Trennung, einen äußerst eingeschränkten und erschwerten Kontakt an einem beängstigendem Ort über Besuche, Briefe und gelegentliche Telefonate. Sie leben mit einem vielfach belastetem Elternteil. Sie sind Unverständnis, Hänseleien und Ausgrenzung ausgesetzt und verlieren eine umfassende Teilnahme an dem, was Gleichaltrigen möglich ist.

Kinder reagieren höchst unterschiedlich auf dieses Widerfahrnis. Sie sind niedergeschlagen, traurig und ziehen sich zurück. Sie werden ängstlicher und klammern sich an den ihnen bleibenden Elternteil. Sie können beträchtliche Verhaltensauffälligkeiten zeigen wie aggressives Verhalten und plötzliche Wutausbrüche. Sie können in ihrer Sprachentwicklung verzögert oder gestört sein, nässen wieder ein. Sie schützen sich, indem sie sich Phantasiewelten schaffen und leugnen, dass es ihnen nicht gut geht.

Das alles erleben oder besser erleiden Kinder von Inhaftierten tagtäglich. Beim abendlichen Zubettgehen kann nur dem Bild des Vaters ein Kuss gegeben werden. Der nächste Morgen beginnt wieder ohne ihn und mit der bangen Frage: „Wann fahren wir wieder zu Papa?“ Bei den nur kurzen Besuchen in den nicht Kind gerechten Besuchsräumen der JVA müssen sie sich die Aufmerksamkeit des Vaters mit der Mutter teilen. Um ihn besuchen zu können, sind sie lange unterwegs und haben längst nicht alles erzählen können, was ihnen auf der Seele brennt. Auf den schmerzlichen Abschied folgt wieder eine lange Zeit des Wartens auf das nächste Wiedersehen oder einen Anruf, dessen Zeitpunkt immer ungewiss ist.

Um diesen Kinder gerechter zu werden und sie nicht unnötig in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen, dürften die Regelungen der von der BRD unterzeichneten UNKinderechtskonvention, nach der jedes Kind ein Recht auf den freien Zugang zu beiden Eltern hat und der Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, nicht länger nachgeordnetes Recht gegenüber den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer sein, sondern müssten Eingang in die Ausgestaltung des Vollzuges finden, so wie es die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe in ihren Empfehlungen zu einem familiensensiblen Strafvollzug vorschlägt.

Pfarrerin Dorothea Korb, Münster, den 26.07.2012