Themenheft »Straffälligenhilfe trifft Opferhilfe«

In der aktuellen Ausgabe des Informationsdienstes Straffälligenhilfe (1/2016) legen wir dar, wie die Straffälligenhilfe und Opferhilfe miteinader verbunden sind und welche Ansätze es in der Praxis gibt. Einen besonderen Schwerpunkt der Ausgabe bilden daher Beiträge über die Neuerungen des 3. Opferrechtsreformgesetzes und über Restorative Justice.

Werfen Sie hier einen Blick in das Editorial und Inhaltsverzeichnis der Ausgabe.

Editorial

Die Medien propagieren, dass Opfer im Strafprozess kaum beachtet, während die Täter in den Mittelpunkt gestellt werden. Im deutschen Straf- und Prozessrecht wurden die Opfer jahrelang als Beweismittel zur Bestrafung der Täter betrachtet. In den letzten zwei Jahrzehnten, spätestens seit der Veröffentlichung der Europäischen Opferschutzrichtlinie im Oktober 2012, finden Aspekte des Opferschutzes zunehmend Beachtung in Wissenschaft und Praxis.

Die Trennung von Opfer und Täter und die gleichzeitige Fokussierung auf eine der beiden Parteien lässt die Frage aufkommen, ob Straffälligen- und Opferhilfe widersprüchlich nebeneinander existierende Hilfebereiche sind, beziehungsweise inwiefern Verbindungen und Zusammenhänge existieren.

Die Europäische Opferschutzrichtlinie über die Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 25. Oktober 2012 zeigt auf, wie wichtig auf der einen Seite die Stärkung und der Schutz der Opfer/Verletzten von Straftaten und auf der anderen Seite die Verknüpfung mit dem Anspruch auf Wiedergutmachung durch professionelle Tatausgleichsverfahren sind. Das 3. Opferrechtsreformgesetz, welches Ende 2015 beschlossen wurde, und die damit verbundene gezielte Stärkung der Opfer im Strafverfahren mit der Etablierung der psychosozialen Prozessbegleitung greift die Idee der Wiedergutmachung weiterhin auf.

Neben dem Täter-Opfer-Ausgleich als zentralem Behandlungsansatz der Kriminalprävention, der bundesweit besteht, wird in Deutschland die opferbezogene beziehungsweise verletztenbezogene Vollzugsgestaltung ausgebaut. Die Verbindung der Straffälligen- und Opferhilfe wird in den Kerngedanken der »restorative justice« deutlich, Straftaten nicht als Vergehen gegen die Vorgaben des Staates (»criminal justice«), sondern als Konflikt zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft zu betrachten. Im Konzept der »restorative justice« werden die Bedürfnisse aller an der »Tat« Beteiligten in den Mittelpunkt gestellt. Dadurch können insbesondere die Opfer eine gewisse Form der Partizipation erleben. Der Paradigmenwechsel der Opferrolle, welcher insbesondere mit einer rechtlichen Stärkung einhergeht, sollte dennoch auch unter Berücksichtigung eines liberalen Strafrechts erfolgen.

Die Verknüpfung der Straffälligen- und Opferhilfe fördert damit die Orientierung vom Vergeltungsgedanken hin zu der Bedürfnisorientierung von den im Konflikt stehenden Parteien. Im Hinblick auf das Resozialisierungsziel des Strafvollzuges werden die Verknüpfung beziehungsweise die Berücksichtigung des Opferschutzes und eine Fokussierung auf den Ansatz der »restorative justice« positiv bewertet. Die zentrale Aufgabe der beiden Hilfebereiche ist es, – abseits der medialen Öffentlichkeit und fern von Populismus – Lösungen anzubieten, die die Zielsetzungen zur Stärkung des Opfers als auch die Resozialisierung beziehungsweise Kriminalprävention in den Mittelpunkt stellen.

Straffälligen- und Opferhilfe sind demnach weniger widersprüchliche Hilfebereiche als vielmehr sich ergänzende Unterstützungsangebote. Die Verknüpfung der Resozialisierung und Tatverarbeitung mit den Bedürfnissen und Interessen der Opfer dienen sowohl der sozialen Integration als auch der Kriminalprävention und damit der dauerhaften gesellschaftlichen Teilhabe.


Ihre
Christina Müller

Fachreferentin für Straffälligen- und Opferhilfe bei der  Arbeiterwohlfahrt Landesverband Berlin e.V.
Mitglied im Fachausschuss »Straffällig gewordene Frauen« der BAG-S
Stellvertretendes Mitglied  im Vorstand der BAG-S

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