Themenheft Sozialrechtliche Gleichstellung

Mitte September erscheint die neue Ausgabe des „Informationsdienst Straffälligenhilfe“. Schwerpunkt des Hefts ist die „Sozialrechtliche Gleichstellung für Gefangene“ In den Beiträgen geht es um die seit Jahrzehnten geforderte Rentenversicherung, Benachteiligungen beim ALG I, um Arbeit und Beschäftigung sowie um die Bemühungen eine Gefangenengewerkschaft bundesweit zu etablieren. Werfen Sie vorab einen Blick in Editorial und Inhaltsverzeichnis.


Dürfen Freiheitsstrafen das Armutsrisiko erhöhen?
Darf Armut legitime Folge der Strafe sein?

In § 2 des Strafvollzugsgesetzes (Bund) ist das Ziel des Strafvollzuges definiert: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ Und weiter: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ Dass eine Haftstrafe ein Leben in Armut vorbereiten sollte, steht dort nicht – und auch nirgendwo sonst im Gesetz. Im Gegenteil, in § 3 wird ausgeführt: „... Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ In den seit der Föderalismusreform geltenden Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer steht Ähnliches.

Wie kann es also sein, dass ein großer Teil der Gefangenen nach der Entlassung nur mittels Sozialleistungen Armut vermeiden kann? Und dass Gefangene, trotz langjähriger Arbeit im Gefängnis, am Ende nur eine sehr niedrige Rente erhalten, häufig sogar nur Grundsicherung? Sicher: Nicht wenige Inhaftierte hatten schon vor ihrer Zeit im Gefängnis keine durchgängige Erwerbsbiografie und gehörten auch vor der Inhaftierung nicht zum reicheren Teil der Bevölkerung. Aber nach der Haft ist die Situation selten besser. Viele Haftentlassene haben große Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden, von der sie gut leben können (vgl. Roggenthin/Kerwien in BAG-S Infodienst 3/2014).

An dieser unbefriedigenden Situation tragen Gesetzgeber, Arbeits- und Sozialbehörden eine Mitschuld. Manche Regelungen und Praktiken verschärfen die finanziellen Probleme von Haftentlassenen unnötig.

Ein Beispiel: Im Juli 2012 verfügte die Bundesagentur für Arbeit (BA) nach 35 Jahren aus heiterem Himmel eine neue Zählweise für die Berechnung der Arbeitslosengeldansprüche Strafgefangener. Seither bleiben – anders als „draußen“ – arbeitsfreie Samstage, Sonntage und Feiertage unberücksichtigt. Gefangene müssen nun etwa fünfeinhalb Monate länger, also insgesamt 17,5 Monate arbeiten, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben.

Nimmt man die geringe Entlohnung für die Arbeit im Strafvollzug noch dazu und die seit knapp 40 Jahren vorenthaltenen Rentenansprüche, so kann man nachvollziehen, dass Gefangene all diese Sonderbehandlungen als eine gezielte Diskriminierung empfinden, die sie auch nach der Haft auf einen Platz am Rande der Gesellschaft verweisen soll.

Ich finde, eine Gefängnisstrafe hat ohnehin schon viele schädliche Nebenwirkungen. Armut sollte nicht auch noch dazu gehören.

Ihr Cornelius Wichmann
(Mitglied des BAG-S Vorstands)

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe "Sozialrechtliche Gleichstellung für Gefangene".
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