Resozialisierung trotz Überschuldung?

Vom 10.-11. November fand in Berlin die dritte Bundestagung Schuldnerberatung in der Straffälligenhilfe statt. Die Kooperationsveranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. (BAG-SB) und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e.V. (BAG-S) fand unter dem Titel "Resozialisierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit" statt.

Die Überschuldung von Privathaushalten ist ein gesellschaftliches Problem. Zum 01.10.2019 waren in Deutschland 6,92 Mio. Menschen über 18 Jahre überschuldet. Die Überschuldungsquote liegt damit bei zehn Prozent (Süddeutsche Zeitung vom 15.11.2019, S.1). Straffällig gewordene Menschen sind besonders betroffen.

Die Soziale Schuldnerberatung ist daher aus Sicht der BAG-S ein sehr wichtiger Bereich in der Sozialen Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen und ihren Angehörigen. 

Überschuldung steht einem gelingenden, straffreien Leben bzw. der sozialen Integration nach einer Haftstrafe massiv im Wege. Sie schränkt die Handlungsmöglichkeiten beim Neuanfang in Freiheit enorm ein. Eine Überschuldung behindert unter anderem die ohnehin schwierige Suche nach einer angemessenen Unterkunft, nicht zuletzt lastet sie als psychische Hypothek auf den Schultern des Haftentlassenen.

Überschuldete Menschen müssen deshalb schon im Gefängnis unterstützt werden, ihre finanziellen Verhältnisse zu sortieren. Sie brauchen ein Konzept, wie sie ihre finanziellen Altlasten bereits in Haft und später in Freiheit regeln können. Und sie brauchen eine tragfähige Verhaltensstrategie, wie sie künftig neue Schulden vermeiden können. Wenn das alles nicht stattfindet, dann droht sich ihre Geschichte des sozialen Abstiegs und des Freiheitsentzuges fortzusetzen. 

In der Beratungspraxis der Freien Straffälligenhilfe wird deutlich, wie sehr das Thema „Schulden“ die Hilfesuchenden belastet. Die BAG-S hat 2018 eine bundesweite Untersuchung über die Lebenslagen und Problemlagen von straffällig gewordenen Menschen und ihrer Familien durchgeführt. Die Arbeitsgemeinschaft wollte von den Fachkräften der Anlaufstellen und Vereine wissen, welche Probleme in den Beratungsgesprächen im Vordergrund stehen.

Das Problem „Schulden“ stellt nach Ansicht der Fachkräfte eines der vier zentralen Probleme der Betroffenen dar. Die anderen drei sind Probleme des Wohnens, der richtige Umgang mit Behörden und Suchtprobleme. Meist müssen die straffällig Gewordenen nicht nur ein Problem lösen, sondern eine Kombination der genannten Schwierigkeiten. Man hat keine Aussicht auf eine angemessene Unterkunft, ist suchtkrank und verschuldet. Oder man ist verschuldet, hat Ärger mit den Behörden und mit dem Vermieter. Wir haben auch nach dem größten Problem gefragt. Für 22 Prozent aller Beratenen betrifft dies das Wohnen, gefolgt von Behördenproblemen und Suchtproblemen mit je 15 Prozent. Für knapp 11 Prozent aller Klienten stellt Schulden das dominante Problem dar. Wenn man nur die inhaftierten Personen ansieht, trifft man schon auf 14 Prozent, für die Schulden das größte zu lösende Problem ist. Bei inhaftierten Männer nimmt der Problemdruck durch Schulden offenbar noch zu, für 18 Prozent der männlichen Gefangenen sind Schulden das Hauptproblem.

Das zeigt: Schuldnerberatung ist eine Notwendigkeit. Es macht Sinn, mit der Schuldenregulierung nicht erst nach der Entlassung aus der Haft zu beginnen. Im Gegenteil: Es ist zwingend nötig, Lösungsstrategien so früh wie möglich zu entwickeln.

Nun ist das Gefängnis sicher kein idealer Ort für die Schuldenregulierung. Erstens: Der geringe Gefangenenlohn eignet sich kaum, um damit signifikante Forderungen zu begleichen. Zweitens: Die zeitnahe Kommunikation mit Gläubigern und die Anforderung von notwendigen Dokumenten sind dadurch erschwert, dass die Nutzung von Telefon oder Internet stark reglementiert oder gänzlich unmöglich ist. Vieles ist dadurch komplizierter und dauert länger. Drittens: Die Gefahr, sich im Gefängnis noch höher zu verschulden, ist enorm. Um in den Besitz bestimmter Produkte zu gelangen, beispielsweise an Drogen oder Handys, gehen Gefangene häufig Schuldverhältnisse bei Mitgefangenen ein, die sie dann nach der Entlassung begleichen müssen.

Im Einführungsvortrag der Tagung vertrat der Rechtsanwalt und ehemalige Gefängnisdirektor Dr. Thomas Galli einmal mehr die Auffassung, dass das Gefängnis nur vordergründig der Resozialisierung diene. Im Grunde ginge es um Vergeltung der Straftat durch die relationale Zufügung eines anderen Übels.

Neben rechtlichen Fragestellungen, beispielsweise zur Einziehung von Straftaterträgen, zur Pfändbarkeit von Eigengeld oder zu aktuellen Entwicklungen im Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht legte die Veranstaltung einen Schwerpunkt auf die besondere Lebenssituation Inhaftierter: Haftanstalten als vermeintliche Orte der Resozialisierung oder die spezifischen Beratungsbedarfe weiblicher Inhaftierter wurden von den Referentinnen und Referenten genauer in den Blick genommen. In Versuchswerkstätten und Stationenarbeit konnten die Teilnehmenden sich austauschen und die bundesweit sehr unterschiedlichen Modelle miteinander diskutieren. 

Die Tagungsdokumentation wird in Kürze auf der Tagungsseite der BAG-SB veröffentlicht. Ein ausführlicher Tagungsbericht ist für die Ausgabe 1/2020 der BAG-SB Information geplant.