Paritätische Positionierung zur Arbeit und Beschäftigung von Strafgefangenen in Deutschland

Der Verbandsrat des Paritätischen Gesamtverbandes hat im März 2015 das Positionspapier zu Arbeit und Beschäftigung von Strafgefangenen in Deutschland verabschiedet. Der Bundesgesetzgeber hatte sich bereits 1976 verpflichtet, Strafgefangene in die Sozialversicherungssysteme einzubeziehen. Der Gesetzgeber ist bisher tatenlos geblieben. Die überwiegende Mehrheit der Strafgefangenen ist dadurch immer noch nicht rentenversichert und wird in der Arbeitslosenversicherung hinsichtlich der Anwartschaftszeit deutlich schlechter gestellt als Beschäftigte in einem reinen Beschäftigungsverhältnis. Die fehlende Rentenversicherung und die Ungleichbehandlung bei der Arbeitslosenversicherung ist aus Sicht des Paritätischen eine "Doppelbestrafung" für die Betroffenen, weil sich die fehlenden Ansprüche eben erst nach der Haftzeit auswirken, in Form von geringeren Altersrenten oder durch den Verlust von Ansprüchen, z. B. bei der Erwerbsminderungsrente. Der Paritätische fordert die Gesetzgeber auf Bundes- und Länderebene auf, diese Ungleichbehandlung von Strafgefangenen zu beenden und den Zugang für Strafgegangene zur Rentenversicherung zu ermöglichen sowie die Schlechterstellung von Strafgefangenen in der Arbeitslosenversicherung zu beenden.

Vorbemerkung

Im Mai 2014 gründeten Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Berlin Tegel eine Gefangenengewerkschaft. Die Hauptforderung der Gefangenengewerkschaft ist die Einführung des Mindestlohns und die Rentenversicherung für Strafgefangene. Die Gefangenengewerkschaft plant im April 2015 einen bundesweiten Aktionstag unter dem Motto „Schluss mit der Billiglöhnerei hinter Gittern“.

Der Bundesgesetzgeber hatte sich bereits 1976 verpflichtet, die Einbeziehung von arbeitenden Strafgefangenen in die Sozialversicherungssysteme durch ein besonderes Bundesgesetz zu regeln. Die Politik ist bisher tatenlos geblieben. Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes gibt es neben der Frage der Rentenversicherung und der Entlohnung von Strafgefangenen dringenden sozial- und rechtspolitischen Handlungsbedarf auf Bundes- und Länderebene. Eine verbüßte Strafe darf nicht zu einer lebenslangen Benachteiligung von Menschen führen, die bereits während ihrer Haftzeit einer Beschäftigung nachgegangen sind und damit unter Umständen eine wichtige Bedingung für eine erfolgreiche Resozialisierung nach der Haftzeit geschaffen haben.

Der Paritätische Gesamtverband beschränkt sich im Folgenden auf die Frage des fehlenden Rentenversicherungsschutzes, der Schlechterstellung in der Arbeitslosenversicherung und der Frage der Entlohnung für Strafgefangene.

1. Zugang für Strafgefangene zur Rentenversicherung ermöglichen

Von den ca. 66.000 Gefangenen, die im vergangenen Jahr in den 186 Strafanstalten ihre Strafe verbüßten, arbeiteten im Mittel knapp 41.000. Das entspricht einer Quote von 62 Prozent der Strafgefangenen. Die überwiegende Anzahl dieser arbeitenden Strafgefangenen sind jedoch nicht rentenversichert, weil ihr Beschäftigungsverhältnis auf einer „Arbeitspflicht“ nach den Landesstrafvollzugsgesetzen beruht. Die sozialrechtliche Voraussetzung für die Aufnahme in die Rentenversicherung und in weitere Sozialversicherungen ist das Merkmal der „Freiwilligkeit“ einer Beschäftigung. Nach den Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI sind Strafgefangene deshalb auch von der Rentenversicherung ausgeschlossen.

Allerdings gibt es auch hier eine Ausnahme, die jedoch nur eine kleine Anzahl von Strafgefangenen betrifft. Die Ausnahme betrifft die sogenannten Berufsfreigänger. Sie stehen in einem freien Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Strafanstalt und unterliegen deshalb auch der vollen Versicherungspflicht und haben damit den vollen Versicherungsschutz (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung auch Arbeitslosenversicherung).

Der Ausschluss aus der gesetzlichen Rentenversicherung wirkt sich nicht während der Haftzeit auf die Gefangenen aus, sondern betrifft die Zeit nach der Haftentlassung. Durch die Nichtversicherung entstehen Versicherungslücken, die zu niedrigeren Altersrente führen können. Zudem sind Ansprüche auf eine Erwerbsminderungsrente oder auf eine Altersrente für langjährig Versicherte an bestimmte Vor- oder Mindestversicherungszeiten geknüpft. Werden diese nicht erfüllt bzw. erreicht, kann das zum vollständigen Verlust von Ansprüchen (z. B. Erwerbsminderungsrenten) führen.

Der Paritätische Gesamtverband fordert den Bundesgesetzgeber auf, die Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) dahingehend zu ändern, dass

  1. Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden,
  2. die im Strafvollzug geleistete Arbeit in der gesetzlichen Rentenversicherung paritätisch beitragspflichtig und anspruchsbegründend wirkt,
  3. nach Erfüllen der allgemeinen Wartezeit der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aufrechterhalten bleibt,
  4. Rentenanwartschaften, die während der Haftzeit oder der Sicherungsverwahrung erworben wurden, bei der 35-jährigen Wartezeit nach § 51 Absatz 3 SGB VI berücksichtigt werden.

2. Schlechterstellung von Strafgefangenen in der Arbeitslosenversicherung beenden

Neben dem fehlenden Einbezug in die Rentenversicherung gibt es eine Schlechterstellung von Strafgefangenen bei der Arbeitslosenversicherung durch die neuere Rechtsauffassung der Bundesagentur für Arbeit. Seit Sommer 2012 werden bei arbeitenden Strafgefangenen arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Wochenfeiertage, die innerhalb eines zusammenhängenden Arbeits- oder Ausbildungsabschnitts liegen, nicht mehr als Versicherungszeit berücksichtigt. Dadurch muss ein Strafgefangener, der durchgängig ein Jahr mit 250 Arbeitstagen gearbeitet hat, noch 110 Tage mehr arbeiten, um die gleiche Anwartschaftszeit zu erreichen wie ein Arbeitnehmer in einem reinen Beschäftigungsverhältnis. Das Sozialgericht Duisburg beanstandete im Januar 2014 den damit verbundenen geringeren Arbeitslosengeldanspruch von Strafgefangenen als unbegründet. Für den Paritätischen ist diese Ungleichbehandlung sachlich nicht zu rechtfertigen.

Der Paritätische fordert daher die Bundesagentur für Arbeit auf, arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Wochenfeiertage als Versicherungszeit bei der Arbeitslosenversicherung für arbeitende Strafgefangene gleichermaßen wie für andere Beschäftigte zu berücksichtigen.

Fazit

Das maßgebliche Ziel des Strafvollzugs in Deutschland ist die Resozialisierung von Straftätern und Straftäterinnen. Eine Ausgrenzung aus staatlichen Sicherungssystemen widerspricht aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes dem Ziel und dem Prinzip der Resozialisierung. Dieses Prinzip darf nicht durch eine Schlechterstellung von Strafgefangenen bei der Arbeitslosen- und Rentenversicherung unterhöhlt werden. Vielmehr stellt die fehlende Rentenversicherung sowie die Schlechterstellung bei der Arbeitslosenversicherung eine Doppelbestrafung für die Betroffenen dar, da sie in der Folge der Haftzeit, besonders bei Langzeit-Strafgefangenen, keine oder nicht ausreichende Versicherungsansprüche erwerben können. Dies führt unweigerlich zu geringeren Altersrenten mit den Folgeproblemen der Altersarmut bzw. der Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen.

Auch die sozialversicherungsrechtliche Ungleichbehandlung von „echten Freigängern“ und Strafgefangenen, die eine Arbeit zugewiesen bekommen, verstößt aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Paritätische Gesamtverband fordert Bund und Länder auf, angemessene und nachhaltige Vorkehrungen zu treffen, um eine Hilfebedürftigkeit von Strafgefangenen nach Beendigung des Strafvollzugs zu verhindern. Der Bund sollte zudem einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Einbezug der Strafgefangenen in die Rentenversicherung sowie Gleichstellung in der Arbeitslosenversicherung gesetzlich verankert.

Beschlossen vom Verbandsrat des Paritätischen Gesamtverbandes
Berlin, 27. März 2015

 

     
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