Neuregelung der Gefangenenvergütung - Erste Vorschläge der länderübergreifenden Arbeitsgruppe

Im Berliner Abgeordnetenhaus informierte am 21.02.2024 auf Anfrage der Fraktionen Bündnis90/Die Grünen und Die Linke die Staatssekretärin Esther Uleer im Beisein der Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg den Rechtsausschuss über den Stand der Beratungen zur Neuregelung der Gefangenenvergütung (Auszug aus dem Inhaltsprotokoll):

Das Bundesverfassungsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2023 festgestellt, dass die aktuellen Regelungen der Gefangenenvergütung in Bayern und NRW verfassungswidrig seien, weil sie gegen das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Resozialisierungsgebot verstießen.

  • Das Bundesverfassungsgericht beanstande, dass dem zugrunde liegenden Resozialisierungskonzept von NRW und Bayern nicht entnommen werden könne, welche Bedeutung dem Faktor Arbeit auch im Rahmen sonstiger Behandlungsmaßnahmen zukommen solle, welche Ziele mit der Behandlungsmaßnahme Arbeit erreicht werden sollten und welchen Zwecken die vorgesehene Vergütung der Arbeit dienen solle.
  • Es sehe dies aber als notwendigen Bestandteil nach dem Resozialisierungsgebot und führe grundsätzlich aus, dass Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG den Gesetzgeber zur Erstellung eines am Stand der Wissenschaft ausgerichteten Resozialisierungskonzepts verpflichte, auf dem die konkreten Regelung aufgebaut werden müssten.
  • Außerdem könnten die Anforderungen einer angemessenen Vergütung nur aus dem Resozialisierungskonzept im Ganzen heraus entwickelt werden und dass Arbeit nur ein wirksames Resozialisierungsmittel sein könne, wenn sie eine angemessene Anerkennung finde.
  • Der Wert regelmäßiger Arbeit müsse für ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben den Gefangenen in Gestalt eines greifbaren Vorteils vor Augen geführt werden. Dementsprechend müsse der Gegenwertcharakter für geleistete Arbeit für Gefangene unmittelbar erkennbar sein.
  • Zudem führe das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber einen weiten Einschätzung- und Regelungsspielraum habe.

Das Urteil beschäftige alle Bundesländer, auch wenn das Urteil rein formal nur die beklagten Länder Bayern und NRW betreffe.

Der Strafvollzugsausschuss der Länder habe unmittelbar nach Verkündung des Urteils in einer Sondersitzung am 29. Juni 2023 die Einrichtung einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe unter Federführung der beklagten Länder NRW und Bayern beschlossen, die damit beauftragt worden sei, konzeptionelle Überlegungen zur jeweiligen Umsetzung der Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszutauschen. Nach insgesamt vier Sitzungen habe die Arbeitsgruppe für die Sondersitzung des Strafvollzugsausschusses der Länder am 19. Dezember 2023 einen abschließenden Bericht zur Empfehlung von Eckpunkten vorgelegt.

Als Vorschläge der Arbeitsgruppe aufgenommen wurden:

  • Anhebung der Eckvergütung von derzeit neun Prozent auf einen Richtwert von 15 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV und
  • die Erhöhung der Freistellungstage auf bis zu zwölf Tage pro Kalenderjahr als sogenannte nichtmonetäre Vergütungskomponente.

Die Staatssekretärin Esther Uleer bewertete diese Empfehlungen für das Land Berlin:

„Die Anhebung der Eckvergütung erscheine geeignet, den durch das Bundesverfassungsgericht formulierten Zielen gerecht werden zu können. Dies entspreche einer tatsächlichen Lohnsteigerung von ca. 50 Prozent. Bezogen auf die Vergütungsstufe drei erhielte ein gefangener Akt zukünftig 528 Euro pro Monat. Insbesondere scheine die Erhöhung des Eckpunktewerts geeignet, den Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit in Gestalt eines für sie greifbaren Vorteils angemessen vor Augen zu führen und erscheine auch inhaltlich plausibel. Es habe diesbezüglich Vergleiche mit dem gesetzlichen Mindestlohn eines nichttarifgebunden Auszubildenden nach § 17 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz gegeben. Die Unterhaltssituation von Gefangenen entspreche häufig der von Auszubildenden; beide Gruppen müssten regelmäßig nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Viele Gefangene verfügten über keine für den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt adäquate Weiterqualifizierung. Eine Vielzahl der beschäftigten Gefangenen werde auf eine Berufstätigkeit nach der Inhaftierung vorbereitet und entsprechend ihrer Vorkenntnisse weiterqualifiziert.

Der Strafvollzugsausschuss der Länder habe den Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen und halte ihn für eine gute Grundlage, um im jeweiligen Bundesland eine gesetzliche Neuregelung der Gefangenenvergütung zu erarbeiten. Darüber hinaus habe Berlin ein Expertenkreis unter der Leitung der zuständigen Fachabteilung der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz einberufen. Das mit den Führungskräften der Justizvollzugsanstalten besetzte Gremium habe ergänzend zu den länderübergreifenden Eckpunkten weitere Anpassungen der Berliner Justizvollzugsgesetze diskutiert und erarbeitete aktuell einen Ergebnisbericht, der der gesamten Hausleitung aber noch nicht vorliege.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht müsse klar sein, dass auch der Senat Änderung der gesetzlichen Regelung zur Gefangenenvergütung in Berlin anstreben müsse. Wie diese Regelung aussähen, stehe im Entwurf noch nicht fest. Die Eckpunkte aus der länderübergreifenden Arbeitsgruppe seien ein wichtiger Orientierungspunkt. Die Senatorin plane, die Änderungen in Änderung des Gesetzentwurfs zur Reform der Justizvollzugsgesetze einarbeiten zu lassen; es gebe gerade einen Reformprozess. Die entsprechende Senatsvorlage sei für den Zeitpunkt nach der Sommerpause geplant.“ (Inhaltsprotokoll)

Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe ist bisher nicht veröffentlicht worden. Ob dieser weitere Punkte enthält ist nicht bekannt. Insbesondere, ob wie vom BVerfG gefordert, ein am Stand der Wissenschaft ausgerichteten Resozialisierungskonzepts ausgearbeitet wird, ist offen.

Das Inhaltsprotokoll der Sitzung im Abgeordnetenhaus kann hier eingesehen werden.