Jede lange Reise beginnt mit einem kleinen Schritt… – Das Familienhaus in Engelsborg

"Familienhaus Engelsborg – ein erfolgreiches Modell für einen familiensensiblen offenen Strafvollzug in Dänemark.

Bevor ich beginne, Ihnen etwas über das Familienhaus Engelsborg zu erzählen, ist es mir wichtig, Sie darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei auch für Dänemark um ein außergewöhnliches Projekt handelt. Es ist das einzige seiner Art in der Welt. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Einladung, da ich glaube, dass es wichtig ist, die Geschichte dieser Einrichtung überall bekannt zu machen und eine Diskussion darüber in Gang zu setzen, dass es möglich ist, Inhaftierung in unterschiedlichen Umgebungen stattfinden zu lassen.

Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, auf die Situation der Kinder von Inhaftierten aufmerksam zu machen. Diese Gruppe von Kindern ist fast überall in Europa übersehen worden. Von Anfang an war es unser wichtigstes Anliegen, mit diesem Projekt die Kinder ins Blickfeld zu rücken.
Das Familienhaus liegt neben dem Übergangshaus Engelsborg. Dieses gehört seit mehr als 40 Jahren der Behörde für Strafvollzug und Bewährungshilfe. Immer waren dort auch Kinder mit ihren inhaftierten Eltern untergebracht, aber bevor es das Familienhaus gab, hat niemand Verantwortung für diese Kinder übernommen.

Bereits vor mehr als zehn Jahren hatten wir die Idee, ein Familienhaus zu eröffnen. Wenn ich Ihnen nachher über dieses etablierte und erfolgreiche Projekt berichte, ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass das Projekt mit einem anstrengenden Kampf verbunden war. Wir mussten kämpfen, um ein System, in dem niemals die Stimmen von Kindern Gehör gefunden hatten, davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, familiäre und verwandtschaftliche Beziehung als Kernthemen zu betrachten.
Am Anfang war das Familienhaus nichts als eine verrückte Idee - manchmal war es einfach eine zu große Herausforderung für das System - und viele unserer Kämpfe und Absichten waren für die Strafvollzugsbeamten, die in Engelsborg arbeiteten, einfach nicht klar verständlich.
Ich möchte Ihnen anhand der Geschichte rund um diese verrückte Idee, Vertrauen und Hoffnung geben, dass es möglich ist, Inhaftierung in anderen Kategorien zu denken. Und, dass es machbar ist, neue, kreative und manchmal provozierende Ansichten in ein System wie das der Behörde für Strafvollzug und Bewährungshilfe einzubringen.
Hier einige Fakten:

Die Gesetzeslage
Nach ihrer Verurteilung werden die Häftlinge normalerweise in eine geschlossene Justizvollzugsanstalt eingewiesen. Nach einiger Zeit werden die Inhaftierten dann in den offenen Vollzug verlegt. Wenn sie für lange Zeit inhaftiert waren, haben die Häftlinge das Recht, ihre Strafe in einem Übergangshaus zu beenden.Eine besondere gesetzliche Bestimmung, Paragraph 78, ermöglicht es bei uns, eine Strafe unter alternativen Haftbedingungen wie im Familienhaus zu verbüßen. Manche der Familien werden im Familienhaus zusammengeführt, nachdem ein oder beide Elternteile eine Strafe verbüßt haben. Sie werden für den letzten Teil ihrer Strafe vom Gefängnis in das Familienhaus verlegt. Rund 70 Prozent unserer Inhaftierten kommen aus dem Gefängnis zu uns. Funktioniert der Aufenthalt im Familienhaus nicht, muss der Betroffene zurück ins Gefängnis.Es ist schwierig, die Rückfallquote mit den allgemeinen Zahlen zu vergleichen. Von den Personen, die ihre Strafe im Familienhaus verbüßen, werden nur sehr wenige rückfällig. Einer der Gründe dafür sind hoffentlich die Bemühungen hinsichtlich der Inhaftierten und ihrer Familien. Allerdings müssen wir den Umstand berücksichtigen, dass wir mit einer Gruppe von Inhaftierten arbeiten, die sich schon bereit erklärt hat, eine Veränderung anzugehen und Hilfe zu akzeptieren. Nur sehr wenige unserer Häftlinge werden wieder kriminell.


Auswirkungen - Ergebnisse
112 Häftlinge haben eine Strafe im Familienhaus verbüßt. Davon waren rund 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer. 194 Kinder haben im Familienhaus gewohnt. Fünf Babys wurden hier geboren. Kinder bis zum Alter von 18 Jahren haben in dem Haus gewohnt. Die kürzeste Haftzeit betrug 20 Tage, die längste zwölf Monate.
Fünf Familien wurden aufgrund von Drogen, Alkohol und gewalttätigem Verhalten ausgeschlossen. Nach Verbüßung der Strafe verfolgen wir die kurz- oder langfristige Entwicklung von ungefähr 60 Prozent der Familien. Alle Strafen, die nicht mit Verbrechen an Kindern zusammenhängen, können im Familienhaus verbüßt werden.


Portrait
Die Familien, die bei uns leben, sind wie bunte Teppiche - nicht einmal zwei von ihnen sind gleich. Sie sind unterschiedlich zusammengesetzt aus alleinerziehenden Elternteilen, großen Familien oder Stieffamilien. Es gibt Familien aus allen sozialen Schichten - und verschiedene Arten von Verbrechen sind der Grund für die Inhaftierung.
Das Familienhaus, das sich in einem wohlhabenden Viertel in der Nähe von Kopenhagen befindet, ist wie eine große Villa. Es gibt keine Zäune, die das Grundstück begrenzen. Hier basiert alles auf gegenseitigem Vertrauen, sodass der Inhaftierte eine große Verantwortung trägt. Wir, die Mitarbeitenden, müssen 24 Stunden am Tag wissen, wo sich die Häftlinge aufhalten. Sie verfügen jederzeit über ein funktionierendes Mobiltelefon und eine detaillierte Liste mit ihren Terminen. Die meisten Familien nehmen die Verantwortung an, weil sie wissen, dass sie viel zu verlieren haben, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Denn schwerwiegende Verletzungen der Hausregeln haben eine Verlegung ins Gefängnis zur Folge.


Die Mitarbeitenden
Jederzeit sind zwei Mitarbeitende, die in 24-Stunden-Schichten arbeiten, im Übergangshaus vor Ort. Sie tragen die Verantwortung für die 20 Inhaftierten im Übergangshaus sowie für die fünf Familien im Familienhaus. Dabei handelt es sich um Justizvollzugsbeamte und Sozialarbeiter. Sie achten darauf, dass Hausregeln, Genehmigungen das Haus zu verlassen sowie alle Vorgaben rund um Strafe und Bewährung eingehalten werden. Sie schließen das Haus um Mitternacht ab und danach darf niemand mehr die Einrichtung verlassen. Wer sie nachts weckt, muss dafür einen wirklich guten Grund angeben können.
Im Familienhaus arbeiten drei Sozialarbeiter, die sich auf die Rechte von Kindern, Entwicklungspsychologie und die Arbeit mit Familien spezialisiert haben sowie eine Familientherapeutin. Bei Bedarf kommen einmal die Woche ein Psychologe oder ein Psychiater zu uns.

Die erste Begutachtung. Das erste Treffen.
Als erstes treffen wir uns mit den Eltern der Familie zu einer informellen Besprechung und informieren sie über das Leben im Familienhaus. Sie müssen dazu bereit sein, ihren Lebensmittelpunkt für einen gewissen Zeitraum nach Engelsborg zu verlagern.
Wir bemühen uns, Ihnen verständlich zu machen, dass sie sich verpflichten müssen, an Veränderungen mitzuarbeiten; dass es schwierig sein kann, im Familienhaus zu leben; dass dort viele der Mitarbeitenden und der anderen Inhaftierten Zeuge ihres privaten Lebens werden; dass sie verpflichtet sind, an Therapiesitzungen und Trainings teilzunehmen.
Im Mittelpunkt stehen immer die Bedürfnisse der Kinder. Wenn der Aufenthalt für das Kind bedeutet, dass es aus seinem Netzwerk, seinem Alltagsleben und seiner Schule gerissen wird, dann ist es wichtig zu schauen, ob es andere Alternativen gibt. Solch eine dramatische Veränderung und die Zusammenführung mit einem Elternteil, das für eine lange Zeit abwesend war, rechtfertigt nicht immer eine derart große Umstellung. Die meisten unserer Familien leben jedoch räumlich gesehen so nahe an Engelsborg, dass es ihnen möglich ist, ihre Kinder zur Schule und in die Kindertagesstätte zu bringen.
Wenn wir mit dem Einzug der Familie einverstanden sind, muss dieser noch rechtlich von der Behörde für Strafvollzug und Bewährungshilfe bewilligt werden.

Das zweite Treffen und die Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort.
Für das zweite Treffen laden wir die Familie und die Sozialbehörde ein. Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit, weil diese von Beginn an wichtige Kooperationspartner sein werden.
Viele unserer Familien haben vielfältige Probleme und leben im täglichen Chaos. Wir kooperieren mit der Sozialbehörde hinsichtlich der Wohnverhältnisse, wirtschaftlicher und beruflicher Probleme sowie ständiger Hilfe und Unterstützung für die Zeit, nachdem die Familie wieder nach Hause zurückgekehrt ist. Viele Familien haben sich vorher aus Angst von den Sozialbehörden ferngehalten. Es ist wichtig, dass die Familien verstehen, wo sie künftig Unterstützung finden werden.
Die Sozialbehörde vor Ort bezahlt eine symbolische Summe für den Aufenthalt der Kinder. Viele Sozialbehörden sind zufrieden mit unserer Kooperation. Sie werden von uns laufend informiert, nach der Hälfte der Zeit findet ein Treffen statt und am Ende des Aufenthalts der Familie wird ein schriftlicher Feedback-Bericht erstellt. Die Behörde vor Ort erhält Beobachtungen, Analysen und Empfehlungen über die Familie und muss dafür nur geringe Kosten investieren.
Die Familien haben ihre eigenen finanziellen Mittel. Einige von ihnen arbeiten oder nehmen an Ausbildungsprogrammen teil, die übrigen erhalten Sozialleistungen. Einmal im Monat stehen in unserer Einrichtung ehrenamtlich engagierte Anwälte und Buchhalter zur Verfügung. Viele der Familien sind verschuldet, befinden sich in einer schwierigen finanziellen Lage. Häufig stapeln sich bei ihnen ungeöffnete Briefe und unbezahlte Rechnungen.


Das dritte Treffen
Das dritte Treffen findet statt, bevor die Familien einziehen. Dabei sehen die Kinder das Familienhaus zum ersten Mal und können besprechen, wie Sie alles organisieren. Wichtige Überlegungen sind beispielsweise, ob Micky Maus, Spiderman und Barbie mit einziehen. Die Kinder treffen die Mitarbeitenden und manche Eltern erhalten Unterstützung, damit sie ihren Kindern zum ersten Mal erklären können, dass sie eine Freiheitsstrafe verbüßen.

Die Ziele
Während des Aufenthalts der Familie stehen die folgenden unterschiedlichen Ziele im Mittelpunkt:
Ein Schwerpunkt ist es, Vertrauen aufzubauen. Viele der Familien haben in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt, die es schwierig machen, Vertrauen zu fassen. Wenn der Inhaftierte in das Familienhaus einzieht und dort umgeben von den Mitarbeitenden lebt, ist er gefordert, das nötige Vertrauen zu finden. Jeden Tag gehen wir zur Arbeit in ihrem Zuhause und werden Zeuge ihres Lebens. Vertrauen ist nötig, um sich in der Therapie und während der Trainings zu öffnen. Ein wichtiger Punkt ist es, das Vertrauen der Familien in die Sozialbehörden aufzubauen.
Vertrauen ist von zentraler Bedeutung für die Kooperation mit dem Netzwerk des Kindes, damit es die engen Beziehungen innerhalb seines Umfeldes weiter aufrechterhalten kann. Wenn nötig, erhalten die Familien Hilfe bei der Wiederherstellung von Kontakten mit der Schule des Kindes, dem Kindergarten, dem Netzwerk etc. Viele der Familien bekommen Unterstützung, um ihre sozialen Kontakte oder ihre Besuche in Sportvereinen und Freizeitzentren wieder aufzunehmen. Vertrauen aufzubauen bedeutet, Beziehungen zu anderen Menschen positiv gegenüber eingestellt zu sein.
Mit der Eltern-Kind-Beziehung zu arbeiten, steht ebenfalls im Fokus. Zahlreiche Familien haben eine lange Geschichte des Scheiterns und der Trennungen hinter sich. Wir bemühen uns, an den Beziehungen in Familientherapiesitzungen zu arbeiten. In der Erwachsenengruppe erhalten die Eltern allgemeines Wissen über die Entwicklung von Kindern. Hier sind sie zudem oft bereit, ihre Geschichten und Erfahrungen mit anderen Familien in ähnlichen Situationen zu teilen.
Lernen, die Straftat zu reflektieren, ist ein weiterer Schwerpunkt. Viele Inhaftierte haben erfolgreich alles, was mit ihrer Straftat in Zusammenhang steht, von ihrem Familienleben getrennt, als ob beides nichts miteinander zu tun hätte. Doch die Inhaftierten müssen sich die Konsequenzen für das Familienleben vor Augen führen und Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Tat auf das Leben der Kinder übernehmen. Dies ist häufig das Thema während der Familientherapiesitzungen. Oftmals fehlte den Familien bis dahin der Mut, auf ihre Geschichte zurückzublicken und im Detail zu analysieren, was passiert ist und welche Auswirkungen und Emotionen dies ausgelöst hat. Für die meisten von ihnen sind dies schwierige, aber gute Gespräche, die sie sehr entlasten und ihnen helfen, die Schuld- und Schamgefühle, unter denen viele Familien leiden, zu reduzieren.
Für viele der Kinder ist es hier zum ersten Mal möglich, sich zu öffnen und ihre Geschichten zu erzählen. Zuzuhören ist ein wichtiger Teil der Familientherapie. Für die inhaftierten Eltern ist es beeindruckend, die Geschichten der Kinder zu hören.
Das Wohlergehen des Kindes ist der letzte Schwerpunkt. Aufgrund der Gespräche mit den Kindern analysieren wir, welche Auswirkungen die Umstände auf das Kind haben. Wenn unsere Angebote nicht ausreichen, vermitteln wir die Kinder weiter in andere Hilfsangebote außerhalb unseres Hauses. Das Wohlergehen des Kindes steht im Mittelpunkt unserer Arbeit.


Der Alltag
"Als wir in das Familienhaus eingezogen sind, kehrten Spaß und Spiele in unsere Familie zurück." - Ich habe mit den Kindern über ihr Leben in Engelsborg gesprochen und ich glaube, dieses Zitat von Ronny sagt einfach alles!
Wir haben Platz für fünf Familien. Die Familien bleiben normalerweise für einen Zeitraum von drei Monaten bis zu einem Jahr bei uns. Sie ziehen mit ihrem ganzen Leben nach Engelsborg, inklusive Spielsachen und privater Dinge, mit denen sie ihre Zimmer einrichten. Den älteren Kindern bieten wir ein eigenes Zimmer an, ansonsten findet das Zusammenleben in kleinen Wohnungen mit eigenem Badezimmer und einer Gemeinschaftsküche statt.
Jeder muss morgens aufstehen. Die Kinder werden zur Schule und in den Kindergarten gebracht, dann kommen die Eltern zurück nach Hause, um ihre täglichen Aufgaben zu erledigen. Sie machen im Haus sauber und arbeiten im Garten. Jeden Tag verbringen sie einen großen Teil ihrer Zeit mit Trainings, Therapien, Fortbildungen sowie einem gemeinsamen Essen einmal in der Woche.
Jeden Tag stehen ihnen eineinhalb Stunden zur Verfügung, um einkaufen zu gehen etc. Freie Zeit darüber hinaus muss beantragt werden. In den meisten Fällen ist es einfach, Erlaubnis für die Aktivitäten mit den Kindern zu erhalten. Viele unserer Familien sind einsam und verfügen über wenige Kontakte. Wir versuchen das Netzwerk, das vorhanden ist, zu aktivieren und ihnen klarzumachen, wie wichtig es ist, solche Netzwerke zu haben. Wir ermutigen die Familie, die Großmutter zum Abendessen, einen Freund des Kindes zum Übernachten oder einen alten Nachbarn zum Kaffeetrinken einzuladen.
Viele der Familien nehmen gerne die Hilfe der anderen Familien, die im Haus leben, an. Die meiste Zeit kommen sie gut miteinander aus. Sie kochen zusammen und helfen sich gegenseitig bei der Betreuung der Kinder. Manchmal erwächst daraus eine Freundschaft.
Das Wohlergehen der Kinder steht im Mittelpunkt. Die meisten Kinder genießen den Aufenthalt und finden Freunde, die sich in der gleichen Situation befinden. Jedes zweite oder dritte Wochenende verbringen die Familien in ihrem eigenen Zuhause, damit die Kinder ihr Netzwerk aufrecht erhalten können.

Die Therapieangebote
Die Grundlage unserer Arbeit bilden die systemische Familientherapie und die narrative Methode.
Paartherapie: Viele Paare haben einen enormen Vertrauensbruch durchlebt und müssen ihre Beziehung wieder aufbauen.
Marte Meo: Diese Therapiemethode arbeitet mit Videoaufzeichnungen. Mithilfe dieser Aufnahmen kann die Beziehung zwischen Elternteil und Kind sehr gut dargestellt werden - häufig mit dem Schwerpunkt auf diejenigen Dinge, die funktionieren. Viele unserer Eltern haben kein Vertrauen in ihre erzieherischen Kompetenzen. Wenn Eltern ihre Beziehung zum Kind in einer Videoaufzeichnung sehen können, wird oft klar, wo wir ansetzen müssen und wie dem Kind geholfen werden kann. In diesen Aufnahmen finden wir viele wertvolle Informationen. Die Bilder zeigen mehr als viele Worte erklären können. Die Videoaufzeichnungen sind die Grundlage für wertvolle Gespräche mit dem Therapeuten.
Erwachsenengruppen: In Erwachsenengruppen vermitteln wir Wissen über Erziehungskompetenzen, kindliche Entwicklung, Herausforderungen der Kindererziehung etc. Hier können die Erwachsenen ihre Gedanken und Erfahrungen miteinander teilen. Für viele von ihnen ist dies das erste Mal, dass sie sich hierüber mit anderen Menschen austauschen.
Familientherapie: Wir führen Gespräche mit allen Familienmitgliedern, die im Haus leben. Häufig wird auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Bekannte und Freunde, die gute und herzliche Beziehung zu der Familie haben, zu diesen Gesprächen einzuladen. Oft können wir hier sicherstellen, dass die zentrale Geschichte der Inhaftierung auf den Tisch kommt. Hier haben alle Familienmitglieder eine wichtige Stimme und es geht auch insbesondere darum, zuzuhören. Auch über die Zukunft wird gesprochen. Es ist wichtig, dass die Familie anfängt, darauf zu hoffen, dass eine Veränderung möglich ist. Das ist die Hoffnung auf die Zukunft.

Die Familienaktivitäten
Die Sozialarbeiter verbringen viel Zeit mit der Familie. Ein großer Teil ihrer Arbeit besteht daraus, zu beobachten, zu beraten und Erziehungskompetenzen zu vermitteln. Sie organisieren Aktivitäten für die Familie, zum Beispiel einen Besuch des örtlichen Schwimmbads, einen Ausflug in den Zoo, Feuermachen im Wald sowie Zeit zu Hause beim Backen oder bei kreativen Beschäftigungen.
Der Sozialarbeiter unterstützt die Familien in ihrem Alltagsleben. Ziel ist es, die Familien zu begleiten, während sie ihre praktischen Aufgaben verrichten. Die Sozialarbeiter helfen der Familie, Herausforderungen zu meistern sowie regelmäßige Abläufe, Kultur und Traditionen in der jeweiligen Familie zu schaffen und zu verstärken.

Allgemeine Informationen zu den Kindern
Die Kinder der Inhaftierten bilden eine Gruppe, in deren Lebenssituation sich viele gemeinsame Nenner finden lassen. Ein großer Teil unserer Kinder sind kleine Erwachsene, die eine Menge Verantwortung übernommen haben. Viele von ihnen mussten aufgrund ihrer Probleme Stigmatisierung, soziale Isolation und viel Einsamkeit erfahren. Die Familien leiden häufig sehr unter der Tabuisierung rund um das Thema Gefängnisaufenthalt. In vielen Fällen ist es eine Erleichterung für die Kinder, wenn ein professioneller Erwachsener die Verantwortung übernimmt. Sie spüren, dass jemand sich um die Probleme der Familie kümmert und viele von ihnen kehren schnell wieder in ihre Position als Kind zurück.


Unsere Arbeit mit den Kindern
Kindergruppen:Für die Kinder gibt es spezielle Gruppen. Für sie ist es oft eine Erleichterung, sich andere Kinder als Beispiel zu nehmen und deren Probleme zu erkennen. In diesen Gruppen kann man deutlich beobachten, wie leicht es für Kinder ist, in Kummer zu versinken und diesen auch wieder zu vergessen. In einem Moment ist alles sehr ernst, der nächste Moment ist ausgefüllt mit Verspieltheit und Leichtigkeit. Dann ist es wichtig, den Kindern darin zu folgen. Es ist von großer Bedeutung, dass Fachkräfte die Leitung dieser Gruppen übernehmen - aber hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung sind sie oft überflüssig. Die größte Herausforderung ist, dass wir häufig nicht genügend Kinder gleichen Alters haben, um eine Gruppe bilden zu können. Daher arbeiten wir mit dem Roten Kreuz in Dänemark zusammen, das Gesprächsgruppen für Kinder von Inhaftierten anbietet.
Gespräche mit Kindern: Die Gespräche mit den Kindern sind ein Schwerpunkt im Familienhaus. Im Allgemeinen finde ich, dass zu wenig mit Kindern gesprochen wird, die meisten Gespräche finden mit dem Netzwerk rund um das Kind statt! Bei uns nehmen normalerweise alle Kinder, die älter als fünf Jahre sind, an den Gesprächen teil. Meistens ist auch ein Elternteil dabei, das als Zeuge teilnimmt, wobei vorher abgeklärt wird, dass diese Personen die Bezugsperson ist, die dem Kind am nächsten steht.
Die meisten Kinder sind sehr erleichtert, dass sie sich öffnen können und erzählen können, was passiert ist, welche Gefühle und welche Gedanken sie dabei hatten. Viele Eltern hören für sie völlig neue Geschichten. Häufig haben Kinder große Radarstationen in ihren Köpfen. Sie haben selbst Informationen über ihre Situation gesammelt, weshalb ihre Vorstellungen von der Realität oft aus Fantasien bestehen. Die meisten von ihnen nehmen die Wahrheit positiv auf, sie verschafft ihnen Erleichterung. Die Gespräche mit den Kindern drehen sich auch um deren Leben außerhalb der Familie. Ihre Schule, Freunde, Tiere und Freizeit. Während dieser Gespräche wird oft klar, wie sie geschafft haben, das alles durchzustehen. In den Gesprächen geht es auch sehr viel um die Zukunft. Dort liegt die Hoffnung.
Narrative Briefe: Nach den Gesprächen mit den Kindern erhalten diese oft einen sogenannten narrativen (erzählenden) Brief. In diesem sind die wichtigsten Themen des Gespräches zusammengefasst. Auf diese Art und Weise wird das Kind gewürdigt und, falls dies angebracht ist, bekommt es neue gedankliche Anregungen und Herausforderungen. Wir arbeiten mit biografischen Bilderbüchern - und Maltherapie.

Das Ferienlager
Zweimal im Jahr fährt das Familienhaus mit den Familien in die Ferien. Manche Kinder können danach in der Schule zum ersten Mal sagen, dass sie im Urlaub waren. Wir fahren auf einen Bauernhof auf dem Land. Während der Woche erkunden wir die Möglichkeiten und versuchen dann, die Teilnehmer zu freien Aktivitäten einzuladen, wie Feuermachen im Wald oder den Strand und die Natur im Allgemeinen zu besuchen.

Die wichtigsten Bezugspersonen
Wie das Kind über die Runden gekommen ist und wer die wichtigsten Bezugspersonen waren, sind zentrale Themen in den Gesprächen mit den Kindern. Die meisten Kinder haben in dieser Zeit erwachsene Vertrauenspersonen gefunden. Meiner Meinung nach sind viele Kinder sehr kompetent, wenn es darum geht, die Dinge, die sie nicht von ihren eigenen Familien bekommen, woanders zu finden. Dabei ist es wichtig, Bezugspersonen zu haben. Häufig laden wir diese ein, an der Therapie teilzunehmen - und heißen Sie im Familienhaus willkommen.


Die Kooperationspartner
Wir kooperieren eng mit der Schule vor Ort, wenn es für die Kinder notwendig ist, die Schule zu wechseln. Dazu gehören Besuche in der Schule und die Teilnahme an Eltern-Lehrer-Treffen. Wir informieren die Schule über die Situation, in der sich die Familie befindet, und wir laden die neuen Mitschüler des Kindes in das Familienhaus ein. Das Familienhaus ist positiv von der hiesigen Gemeinde aufgenommen worden. Es gibt eine gute Zusammenarbeit und wir erhalten Geldspenden, Kleidung und Spielzeug. Das Familienhaus wird auch von der Politik unterstützt, sowohl von allen regierenden als auch von den Oppositions-Parteien. Auch von Seiten der Presse gibt es ein großes Interesse an unserer Arbeit. Hier müssen wir die Zügel kurz halten, jedoch gab es noch keine ernsthaften Probleme.

Veränderungen geschehen langsam - großer Bedarf an Nachbetreuung
Veränderung ist ein langwieriger Prozess. Manche der Inhaftierten, die in das Familienhaus kommen, befinden sich nach einer langen Verurteilung oder Zeit in Haft in einer schlechten Verfassung. Das hat oft einen hohen Tribut von ihnen und auch ihren Familien gefordert. Um die Unterstützung, die wir den Menschen geben, nicht verpuffen zu lassen, ist es entscheidend, dass die Kommune die Familie auch nach ihrer Rückkehr weiter unterstützt.
Viele Familien sind dann noch sehr zerbrechlich. Ohne die Rahmenbedingungen des Familienhauses müssten sie mit dem Alltagsleben alleine zurechtkommen. Für einige Familien erscheint diese Aufgabe chaotisch, und wenn sie nicht die richtige Hilfe erhalten, fallen sie in alte Verhaltensmuster zurück. Einer der Sozialarbeiter kümmert sich darum, dass die gemeinsamen Bemühungen für das Wohlergehen der Familie auch während und nach der Entlassung koordiniert und beibehalten werden. Der Kontakt zwischen der Familie und den Behörden vor Ort ist essenziell. Wir bleiben in Kontakt mit der Familie, bis diese die Unterstützung erhält, die sie braucht.
Einige Familien nehmen an einem Therapieprogramm teil, das nach ihrer Entlassung noch drei Monate weitergeführt wird. Sie wissen, dass Sie uns jederzeit anrufen können. Wir laden unsere alten Familien zu Weihnachten, zu Sommerlagern und Sommerpartys ein. Diese Wiedersehen sind für die Kinder eine tolle Sache.

Fazit
Wer sich auf die Suche nach Forschungsarbeiten und allgemeinen Informationen über die Kinder von Inhaftierten in Dänemark macht, der wird feststellen, dass der erste Bericht dieser Art erst vor zehn Jahren erstellt wurde. In diesem Bericht ging es um die Kinder im Allgemeinen, ihre Stigmatisierung und ihre soziale Isolation, damals ein großes Tabuthema und ein Bereich, für den die dänische Behörde für Strafvollzug und Bewährungshilfe keinerlei Verantwortung übernahm.Dieses Bild hat sich verändert. Ich habe den deutlichen Eindruck, dass das Thema Kinder von Inhaftierten überall in Europa auf der Tagesordnung steht. Vor einem Monat war ich in Genf, als dieses Problem beim UN-Ausschuss für die Rechte der Kinder zur Sprache kam. Die Rechte dieser Kinder werden nun in einem größeren Zusammenhang gesehen und es gibt Hoffnung, dass die Kinder von Inhaftierten gesetzlich festgelegte Rechte bekommen werden.Der schönste Teil meiner Arbeit sind die Gespräche mit den Kindern. In den letzten sechs Jahren habe ich in vielen vertraulichen Gesprächen Informationen über die Situation dieser Kinder gesammelt. Dies hat mir große Freude bereitet, nicht zuletzt weil ich die Stimmen dieser Kinder auf sehr konkrete Art und Weise weitertragen konnte. Diese Stimmen habe ich in die allgemeine Forschung eingebracht und sie wurden außerhalb und innerhalb der Gefängnisse gehört. Ein konkreter Beweis dafür sind die Besucherräume in Gefängnissen, die ganz entscheidend verbessert worden sind. Heutzutage haben Kinder Zugang zum Inneren der Gefängnisse, damit sie erfahren können, wie das tägliche Leben ihrer Eltern aussieht, entweder durch einen Besuch im Gefängnis (auch in geschlossenen Einrichtungen) oder mithilfe von Fotomaterial. In manchen geschlossenen Gefängnissen wurden Apartments eingerichtet, um den Familienangehörigen Besuch und Übernachtung zu ermöglichen. Dadurch kann eine Art Alltag erlebt, Beziehungen entwickelt werden. Die Stimmen kamen auch zum Tragen, als es darum ging, Gesprächsgruppen für Väter in den Gefängnissen zu entwickeln. Das dänische Rote Kreuz bietet jetzt Gruppen für die Kinder und ihre Eltern außerhalb der Gefängnisse an. Das dänische Ministerium für Strafvollzug und Bewährungshilfe hat großes Interesse und sich sehr aufgeschlossen gezeigt, als es darum ging, diese Stimmen in die innovative Arbeit einfließen zu lassen.Ich habe sehr eng mit dem dänischen Institut für Menschenrechte zusammengearbeitet. Im vergangenen Jahr hat es ein zweijähriges Forschungsprojekt, das sich mit diesen Kindern beschäftigt, abgeschlossen. Das dänische Ministerium für Strafvollzug und Bewährungshilfe war auch Teil der Kooperation hinsichtlich allgemeiner Empfehlungen. Zurzeit läuft ein Projekt mit den Mitarbeitenden in fünf dänischen Gefängnissen zum Thema "Verantwortung gegenüber Kindern". Wir hoffen, dass es einen Ombudsmann für die Kinder geben wird, der die gesetzlich festgelegten Rechte dieser Kinder im Auge behält.Insgesamt kann man sagen, dass es sich bei Kindern von Inhaftierten um vergessene Kinder handelt, deren Stimmen verstummt sind. Dank Projekten wie dem Familienhaus Engelsborg sind diese Stimmen wieder vernehmbarer geworden."


Rikke Betak,Familientherapeutin in Engelsborg
Familienhaus für Straffällige
Lyngby, Dänemark

Die Fotos sind dem Buch Children of Prisoners - A Story About The Engelsborg Family House, hrsgg. von Kirsten Neimann u.a., Kopenhagen 2009 entnommen und stammen von Tina Enghoff.