Inseln guter Praxis – Initiativen der Freien Straffälligenhilfe für Kinder und Familien Inhaftierter

Einzelne engagierte Projekte helfen Kindern von Inhaftierten, den Kontakt zu Vater oder Mutter aufrecht zu erhalte, Traumatisierungen zu vermeiden und für ein Familienleben nach der Haft vorzubereiten. Drei Initiativen der Freien Straffälligenhilfe stellen wir hier vor.

Freiräume Bielefeld: Ein Vater-Kind-Wochenende

Paula, 14 Jahre, hat ihre Wünsche fürs Wochenende auf einen Zettel geschrieben: „Spaß“, „kuscheln mit Papa“, „viele Spiele“ steht da. Was für andere Kinder Alltag ist, ist für Paula eine große Besonderheit: ein Wochenende mit ihrem Vater. Denn der sitzt in der JVA  und Paula sieht ihn nur selten. Aber an diesem Wochenende hat sie ihren Vater ganz für sich. In einer Gruppe mit acht Vätern und elf Kindern zwischen drei und sechzehn Jahren wird gebastelt, gespielt und getobt, es gibt Zeit, Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen und mit Papa zu kuscheln. Kein Wunder, dass Paula begeistert davon erzählt. Aber aus ihrem Bericht spricht auch die Sehnsucht. „Schade“, sagt sie, „dass es so ein Wochenende mit Papa nicht öfter im Jahr gibt.“ Mit dem Wochenendseminar in einer Tagungsstätte im Sauerland, das von der Anlaufstelle Freiräume der Diakonie für Bielefeld gGmbH durchgeführt wird, sollen die Beziehungen zwischen Vätern im offenen Strafvollzug und ihren Kindern ermöglicht und gestärkt werden.  „Die Aufrechterhaltung familiärer sozialer Kontakte ist für Familien mit einem inhaftierten Elternteil nur sehr eingeschränkt möglich, wenn sich das ‚Familienleben‘ auf die klassischen Besuchszeiten beschränkt“, sagt Dipl.-Sozialpädagogin Melanie Mohme von Freiräume. Das Wochenende, mithilfe von Fachkräften gestaltet, bietet einen geschützten Rahmen, um Kinder und Väter näher zu bringen und den Männern  ihre Vaterrolle zu ermöglichen.  Neben der Nähe zum Vater vermittelt das Zusammenkommen ein bisschen Normalität im Umgang.  Zudem machen die Mädchen und Jungen in der Kindergruppe die erleichternde Erfahrung, dass alle in der gleichen Situation sind und „dass alle Bescheid wissen“.  Denn viele leiden unter dem „Bauchweh-Geheimnis“, wie es Melanie Mohme nennt.  „Das Kind weiß weder so ganz genau, was eine Straftat ist, noch wie es die Reaktion der Umwelt auf seinen geliebten Vater einordnen soll.“ Durch die Erfahrung von Diskriminierung und Stigmatisierung verlieren viele Kinder den sozialen Halt. Angebote wie das Vater-Kind-Wochenende und auch die von Freiräume z.B. organisierten Vater-Kind- und Mutter-Kind Gruppen – letztere auch im geschlossenen Vollzug in der JVA – sorgen dafür, dass Kinder viel besser mit der Inhaftierung des Vaters zurechtkommen. Dies bescheinigte unlängst eine Untersuchung, die mithilfe der Universität Münster durchgeführt wurde. 100% der Kinder bestätigten eine Verbesserung ihrer Situation.  91,7% der Mütter gaben dies ebenfalls an. Dennoch sind solche Maßnahmen rar. Das Vater-Kind-Wochenende im Sauerland ist sogar das einzige Angebot seiner Art in Deutschland.

Katholischer Verein für soziale Dienste in Bochum e.V. :

Vater-Kind-Gruppen in der JVA Montagnachmittag an der Pforte der Bochumer Justizvollzugsanstalt. In der schmalen Eingangshalle klingen aufgeregte Kinderstimmen durcheinander. Julia, Tom, Kevin, Alara und die Schwestern Dilara und Aylin haben sich gerade von ihren Müttern verabschiedet. Mitten im quirligen Geschehen steht Birgitta Brämer vom SKM – Katholischer Verein für soziale Dienste in Bochum e.V. Sie zählt, ob alle Kinder da sind. Die Sozialarbeiterin leitet die Vater-Kind-Gruppe in der JVA Bochum, die es den Inhaftierten und ihren Kindern zweimal im Monat ermöglicht, am Nachmittag einige gemeinsame Stunden zu verbringen. Bis die Mädchen und Jungen endlich ihre Väter begrüßen können, müssen sie erst durch die Sicherheitskontrollen und anschließend durch einen langen dunklen Gang mit mehreren Gittertüren, über die Birgitta Brämer für die Dauer der Veranstaltung die Schlüsselgewalt hat. Dann springt der kleine Tom seinem Vater vor Freude um den Hals, und die kleine Marina, bislang ziemlich still und schüchtern, strahlt übers ganze Gesicht. Die Kinder setzen sich mit ihren Vätern an den langen Tisch, den die Männer vorab liebevoll mit Kuchen, Süßigkeiten und Getränken eingedeckt haben. Die Kinder erzählen ihren Vätern, was sie während der letzten Woche erlebt haben. Birgitta Brämer bleibt zunächst diskret im Hintergrund und gibt den Vätern und ihren Kindern Gelegenheit, sich auszutauschen und sich füreinander zu öffnen. Aber sie macht auch pädagogische Angebote: Spiele und Übungen, die den Annäherungsprozess behutsam unterstützen. Seit 2004 führt der SKM Bochum die Vater-Kind-Gruppe in der JVA durch. Bislang wird das Angebot nur in einer weiteren deutschen Haftanstalt in ähnlicher Form praktiziert. „Die Leitung und die Mitarbeiter der JVA unterstützen uns in diesem Projekt“, sagt Birgitta Brämer. Damit täten sie viel für den Zusammenhalt der Familien, betont sie. Denn die regulären Besuchszeiten, die zweimal im Monat eine Stunde lang unter strenger Bewachung stattfinden, sind kaum geeignet, auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen einzugehen. Die Vater-Kind-Gruppen beugen einer Entfremdung vor, häufig entstehen erst hier enge Vater-Kind-Beziehungen. „Manche Männer lernen erst im Gefängnis, sich mit ihren Kindern auseinander zu setzen und sich ihnen gegenüber zu öffnen“, sagt Birgitta Brämer. Die Vater-Kind-Gruppen werden durch einen Gesprächskreis ergänzt, in dem die Männer ihre Erfahrungen aus den Begegnungen mit den Kindern aufarbeiten können. So lernen die inhaftierten Väter verantwortungsvolles, väterliches Verhalten und können gemeinsam mit ihren Kindern Perspektiven für die Zeit der Haft und danach entwickeln.

Tamar/SKF Berlin: Der Bringdienst von KidMobil

„Diese Idee, Kinder zu ihren Müttern zu bringen, ihnen die Chance zu geben, dass der Kontakt nicht abreißt, hat mich einfach sofort überzeugt und begeistert.“  Sabine Jank, freiberufliche Designerin und Szenenbildnerin, holt seit drei Jahren regelmäßig einen inzwischen achtjährigen Jungen aus der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin Pankow ab. Einmal in der Woche kann der Junge dort für drei Stunden mit seiner Mutter zusammen sein. Die Tante, bei dem der Junge lebt, wäre seelisch und zeitlich überfordert, den Jungen in die JVA zu begleiten. Die Idee dieses Kinderbegleitdienstes „KidMobil“ stammt von Tamar, einem Projekt für Straffälligenhilfe des Sozialdiensts katholischer Frauen (SKF) in Berlin. Tamar berät inhaftierte Frauen und ihre Familienangehörigen in der Beratungsstelle und in den Justizvollzugsanstalten. Sind die Kinder der inhaftierten Mütter in Pflegeeinrichtungen und Heimen untergebracht, fehlen dort oft die personellen Kapazitäten, das Kind mehre Stunden zu begleiten. Können auch Angehörige das Kind nicht regelmäßig in die Haftanstalt zu seiner Mutter bringen,  droht häufig der Abbruch des Kontaktes zwischen Müttern und Kindern. Bei KidMobil begleiten geschulte ehrenamtliche Mitarbeiterinnen die Kinder aus der Pflegeeinrichtung ins Gefängnis und wieder zurück ins Heim oder zur Pflegefamilie. Während der Bringzeiten werden sie von den Ehrenamtlichen liebevoll betreut und mit ihren Sorgen aufgenommen; für die Fahrzeiten bringen sie Spiele und Bücher mit. Mit den Besuchen ihres Kindes bleibt die Verbindung zur Mutter lebendig und eine positive Beziehung zu ihr möglich. Die Ehrenamtlichen können die Begegnung mit dem Kind entsprechend vor- und nachbereiten und so weiteren Traumatisierungen entgegenwirken. Sie werden mit einbezogen in den Kontakt zu den inhaftierten Müttern, zu den Pflegeeinrichtungen und vor allem zu den Kindern. Indem der Kontakt zu den Müttern in Haft intensiviert wird, ermöglicht KidMobil eine gesunde Entwicklung der Kinder und eröffnet eine neue Lebensperspektive für die Zeit nach der Haftentlassung. Noch sind qualifizierte Angebote für Kinder inhaftierter Eltern die Ausnahme. So naheliegend die Notwendigkeit ist, Kindern inhaftierter Eltern den Umgang zu erleichtern, so schwierig war und ist es, diese Projekte ins Leben zu rufen und zu erhalten. Viele intensive Gespräche, viel Überzeugungsarbeit, vor allem bei den JVA, hat es gekostet. Sicherheitsbestimmungen, Haftungsfragen, organisatorische und finanzielle Probleme sind das eine Hindernis, Ablehnung und Unverständnis das andere. Hier ist noch viel zu tun, um das Recht von Kindern auf einen kindgerechten, zukunftsorientierten Umgang mit ihren Eltern durchzusetzen.

All diese Projekte und Initiativen mindern die Not der betroffenen Mädchen und Jungen, Partnerinnen und Partner und auch der Inhaftierten selbst. Allerdings ist der Bedarf viel größer als das Angebot. Die Versorgungssituation ist prekär und es bedarf daher dringend staatlichen Handelns.

Die BAG-S hat zum Thema eine Broschüre herausgeben:
Arbeit mit Angehörigen Inhaftierter. Orientierungshilfe für die Praxis.

Eine Liste mit den Beratungsstellen für Angehörige Inhaftierter finden Sie hier www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Beratung_Angehoerige__1_.pdf