Informationsdienst Straffälligenhilfe: Aktuelle Ausgabe

Die letzte Ausgabe unserer Zeitschrift für das Jahr 2019 ist erschienen und widmet sich dem Thema "Alternativen zum Gefängnis".

Die neue Ausgabe enthält Artikel über Restorative Justice, das Forgiveness Project, das Manifest zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen und vieles mehr. In eigener Sache ist dort das Positionspapier der BAG-S zum Teilhabechancengesetz auch für ehemalige Strafgefangene zu lesen.

 

Lesen Sie hier schon mal das Editorial:

Liebe Lesende und Interessierte,

in den letzten Jahrzehnten waren Überlegungen hinsichtlich der Alternativen zur Freiheitsstrafe immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher und kriminalpolitischer Debatten. Und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen europäischen Ländern. Der grundlegende Tenor: Wie können kurze Haftstrafen vermieden werden und die Freiheitsstrafe auf ihren Zweck als Ultimo Ratio begrenzt werden?

Etwa 80 % aller strafrechtlichen Urteile lauten in Deutschland auf Geldstrafe. Wird die Geldstrafe nicht bezahlt – beziehungsweise kann sie nicht bezahlt werden – wird eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Insbesondere die Gruppe der von Armut betroffenen Menschen ist überdurchschnittlich von Ersatzfreiheitsstrafe betroffen. So werden schätzungsweise 50.000 Menschen pro Jahr inhaftiert, obwohl das Gericht ursprünglich ein anderes Urteil ausgesprochen hat. Das hat nicht nur erhebliche Konsequenzen für die inhaftierte Person selber, sondern auch für deren Angehörige. Gerade eine kurzzeitige Inhaftierung birgt die Gefahr, wichtige Grundlagen für eine soziale Integration zu verlieren – beispielsweise die Wohnung, die Arbeit, soziale Kontakte oder eine Krankenversicherung.

Aber auch bei Langzeitinhaftierten stellt sich die Frage nach der Wirkung der Haftstrafe. Bessert das Gefängnis die Menschen? Hilft das Gefängnis bei einer Resozialisierung? Kann der Strafvollzug seinen Anspruch auf Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten erfüllen? Welche Funktion erfüllt die Gefängnisstrafe in Bezug auf den Rest der Gesellschaft? Gibt es überhaupt Alternativen? Könnten soziale Reaktionen im Hinblick auf ein Leben in sozialer Verantwortung hilfreicher sein als strafrechtliche Sanktionen?

Seit einigen Jahren gibt es bereits diverse Alternativen zur Freiheitsstrafe. Darunter beispielsweise den Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland und Österreich; in den englischsprachigen Ländern, Südafrika und Skandinavien ist der umfassendere Ansatz der ‚Restorative Justice‘ bekannt. ‚Criminal Justice‘ zielt auf die Vergeltung eines Unrechts mit einem Strafübel ab, Restorative Justice hingegen verfolgt die Wiedergutmachung zwischen Täter, Opfer und der Gesellschaft.

Ein weiteres Beispiel für eine Alternative zur Freiheitsstrafe ist die Gefängnisinsel Bastoy im Fjord von Oslo. Hier sollen die Gefangenen lernen, dass ihre Handlungen direkte Auswirkungen auf ihre Umwelt haben (können). Eine Resozialisierung kann nur funktionieren, wenn Inhaftierte Handlungsalternativen erlernen und lernen Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.

Eine Abschaffung der Freiheitsstrafe scheint aufgrund verschiedener Faktoren eher unwahrscheinlich. Jedoch sollten Alternativen in Betracht gezogen werden, die einen humaneren Umgang mit Delinquenten anstreben, weniger schädliche Folgen mit sich bringen und die an die individuellen Bedürfnisse und Lebenssituationen der Betroffenen angepasst sind.

Ob also eine komplette Abschaffung von Gefängnissen (Abolitionismus) möglich ist, kann und soll hier nicht beantwortet werden. Die vorliegende Ausgabe möchte Denkanstöße über den angemessenen staatlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Kriminalität geben und dabei den Blick auf Alternativen zur Praxis der Strafjustiz richten.

Auch die Fachwoche Straffälligenhilfe, die vom 25. November – 27. November in Mainz stattgefunden hat, beschäftigte sich unter dem Titel Freiheit wagen. Alternativen zur Haft mit diesem Thema. Ein Tagungsband, der voraussichtlich im Juli 2020 erscheint, wird Gelegenheit bieten, sich weiterhin mit der Frage zu beschäftigen, wieweit es bessere Optionen als die Freiheitsstrafe gibt. Ich wünsche Ihnen eine spannende und aufschlussreiche Lektüre!

Rolf Keicher

(Vorstand der BAG-S)