Informationsdienst Straffälligenhilfe: Aktuelle Ausgabe

Die Sommerausgabe unserer Zeitschrift „Informationsdienst Straffälligenhilfe“ erscheint im September 2019 und widmet sich dem Themengebiet „Kriminalisierung der Armut“.

Der Artikel von Frank Wilde zu „Sozialer Status und strafrechtliche Verfolgung – Zwei Problemfälle – zwei Vorschläge“ sowie der Beitrag „Über die Produktion von Delinquenzmilieus und das Gefängnis“ der Initiative KNAS [ ] nehmen sich der Thematik an. Überdies enthält die Ausgabe den Projektbericht der BAG-S zu „Lebens- und Problemlagen straffällig gewordener Menschen und Ihrer Familien“ sowie die BAG-S Stellungnahme zur Überprüfung der Ersatzfreiheitsstrafe. Ebenfalls enthalten ist das Papier „Wohnraum ist ein Menschenrecht – auch für straffällig gewordene Frauen“ des BAG-S Fachausschusses „Straffällig gewordene Frauen“ und natürlich noch vieles mehr.

Lesen Sie hier schon mal das Editorial:

Liebe Lesende und Interessierte,

»Ist das Strafrecht oder kann das weg?«, fragt die Mitgliederzeitung der Strafverteidigervereinigungen in ihrem aktuellen Heft. Das Titelbild zeigt einen orangefarbenen Mülleimer, der mit einer weißen Schrift »Corpus für alle delicti« bedruckt ist. Warum sollen »Delicti« in den Mülleimer entsorgt werden? Die Gründe sind unterschiedlich.

Manche Delikte haben sich durch veränderte gesellschaftliche Umstände erledigt. Einen Scheckbetrug kann heute keiner mehr begehen, weil es keine Schecks mehr gibt. Ebenso kann sich keiner mehr wegen Verschleppung in die DDR strafbar machen. Manche Delikte beruhen auf Moralvorstellungen, die aus heutiger Sicht zumindest zu hinterfragen wären.

Außerdem gibt es Delikte im Bereich der Bagatellkriminalität, die deshalb entsorgungsreif erscheinen, weil das Strafrecht dort nicht als Ultima Ratio zur Sicherung der Rechtsordnung eingesetzt wird. Wenn jemand ohne Ticket Straßenbahn fährt oder eine Flasche Cola klaut, könnte der Staat auch ohne das aufwendige und für die Betroffenen folgenschwere Verfahren der Strafjustiz den Rechtsfrieden wiederherstellen. Bei manchen Delikten, wie zum Beispiel »Containern«, also dem Einsammeln weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern von Supermärkten, stellt sich zuvor die Frage, inwieweit der Rechtsfrieden überhaupt berührt, geschweige denn erschüttert ist.

Für Menschen, deren Lebenssituation von Armut und multiplen Problemlagen geprägt ist, wirken die Sanktionen des Strafrechts eskalierend. Die bestehenden Probleme werden noch verstärkt. Geldstrafen können nicht bezahlt werden. Gemeinnützige Arbeit kann unter Umständen nicht geleistet werden. Die dann drohende Ersatzfreiheitsstrafe gefährdet Wohnung und Arbeitsplatz. Es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen so den letzten Halt verlieren, den sie noch hatten.

Die Verwirklichung von Tatbeständen, die weniger durch kriminelle Energie als vielmehr von Armut geprägt sind, darf nicht eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Armut darf sich nicht strafbegründend auswirken. Der Gesetzgeber muss bessere Wege finden, wie bisher als kriminell eingestufte Handlungen, die aber häufig in Zusammenhang mit Armut stehen, vermieden werden können. Manche fahren schwarz, weil sie sich die Tickets nicht leisten können. Wäre der ÖPNV für sie kostenlos nutzbar, um ihren Mobilitätsbedarf zu decken, müssten sie nicht schwarzfahren. Tagessätze in Höhe von 10 Euro und mehr können von Menschen im Sozialleistungsbezug nicht beglichen werden, ohne unter das Existenzminimum zu rutschen. Es ist daher nur folgerichtig, die Tagessatzhöhe den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen.

In der vorliegenden Ausgabe haben wir einige dieser strafverschärfenden Auswirkungen von Armut näher beleuchtet. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Stellungnahme der BAG-S, die eine Überprüfung der Ersatzfreiheitsstrafe einfordert und auf ihre strafverschärfende Wirkung aufmerksam macht. Die Stellungnahme ging den Justizministerinnen und Justizministern im Vorfeld der Justizministerkonferenz am 05. bis 06. Juni 2019 in Lübeck-Travemünde zu.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!    
Alexandra Weingart
Vorstand der BAG-S