Frei-Räume: Kunstintervention an der JVA Siegburg

Gefangene der JVA Siegburg gestalten mit Studierenden der Jan Matejko Kunstakademie Krakau und der Alanus Hochschule gemeinsam Kunst.

Mit einer Vernissage am 19. September 2016 wurde die Ausstellung „Frei – Räume“ in der Justizvollzugsanstalt Siegburg durch Thomas Kutschaty, den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, eröffnet. Weitere Grußworte wurden von Vizekonsul Prezemyslaw Gembiak vom Generalkonsulat der Republik Polen und dem Kanzler der Alanus Hochschule Dirk Vianden gehalten. Eine Einführung zur Ausstellung hielten Frau Professor Eller-Rüter und Professor Zbigniew Bajek. Des weiteren richtete der Dekan der Kunstakademie Krakau einige Worte an die Gäste. Unter den Anwesenden waren auch der Bürgermeister von Siegburg, Herr Huhn, und Herr Feige aus dem Justizministerium.

Künstlerische Statements zum Thema „Frei – Räume“ sind in der Ausstellung in allen Facetten zu betrachten. In ihrer Einführung erläuterte Frau Prof. Eller-Rüter, dass es u.a. das Selbstbildnis war, das einer Spiegelfläche gleich, der Auseinandersetzung mit diesem Thema diente. So entstand im Rahmen eines Workshops eine Bildserie, in der das Selbstbildnis kombiniert wurde mit Augen: Augen die sehen, Augen die den Durchblick haben, Augen die durchschauen, aber auch Augen, die streng überwachen. Weitere Bilder wurden mit architektonischen Elementen kombiniert, Zitaten aus der Knastarchitektur, welche als fotografische Druckwerke in den Workshop mit eingebracht wurden, um damit zu improvisieren, zu spielen und zu variieren. Hinzu kamen ganz persönliche und damit individuelle Symbole.

Die künstlerischen Ergebnisse des Workshops in Form von Bannern in der Größe von 2,50 x 1,60 Metern sind an der Zufahrt und an der Außenmauer der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg zu sehen. Weitere Banner sind am Sportplatz innerhalb der JVA Siegburg für die Gefangenen gut sichtbar aufgehängt. Die in der JVA Siegburg zusammen mit und durch die Gefangenen entstandenen zehn Banner sind in der Kirche der JVA in Haus 1 zu sehen.

Die Werke wurden in drei Workshopgruppen innerhalb einer Woche jeweils ab 17:00 Uhr erarbeitet. Die Gruppen setzten sich zusammen aus Gefangenen der JVA Siegburg, aus Studierenden der polnischen Kunstakademie Jan Matejko in Krakau und Studierenden der Alanus Hochschule aus Bonn-Alfter. Die Verständigung lief über verschiedenste Sprachen. Zu hören waren neben Deutsch und Polnisch, Englisch, Russisch und Türkisch. Die künstlerische Leitung des Projektes lag in den Händen von Frau Professor Eller-Rüter von der Alanus Hochschule und Herrn Professor Bajek von der Jan Matejko Kunstakademie in Krakau.

Die Originalbilder wurden abschließend digitalisiert und auf große Banner in Schwarz-Weiß gedruckt. Die Werke wirken nicht nur im Inneren, sondern auch in den äußeren Bereichen. Es sind die ersten Arbeiten die von Gefangenen gestaltet wurden. Diese zehn Banner reihen sich ein in einen Reigen von Bildern, die bereits zuvor von Künstlern aus der Kunstakademie Krakau, verschiedenen Künstlern aus Polen und Tschechien sowie von Künstlern aus der Alanus Hochschule gestaltet wurden.
Diese Banner wandern seit 2014 von Knast zu Knast. In Polen hat mit dem Kunstprojekt zum Thema „Horizonte der Freiheit“ im Krakauer Gefängnis Montelupich die Zusammenarbeit zwischen Professor Zbigniew Bajek und Professorin Ulrika Eller-Rüter begonnen. Dort wurde zum ersten Mal eine gemeinsame Kunstintervention der beiden Künstler Eller-Rüter und Bajek und deren Malerei-Klassen im öffentlichen Raum durchgeführt, streng genommen im völlig geschlossenen Innenraum des Gefängnisses Montelupich. Die zehn neuen Banner reihen sich ein in eine Serie von bis jetzt 200 Bannern und sie gehen auf Tournee und damit zur nächsten Kunstintervention die in Tschechien stattfinden wird.

Innen- und Aussenraum, so führte Frau Professor Eller-Rüter aus, ist die formale und inhaltlich eigene Sicht aller Künstler auf die Frage nach der Freiheit. „Wieso Banner? Es ist keine Werbung, sondern Kunst. Knast, ist das nicht zynisch? Aber wo kann man es denn thematisieren, wenn nicht hier, wo Freiheit entzogen wird, wo kann man den Freiraum existentieller erfahren als dort, wo man sie nicht haben darf, als dort, wo der Freiheitsentzug als Strafe vollzogen wird.“ Gedanken sind frei, Gefühle ein Schonraum ohne sanktioniert zu werden.

„Das Negative zu tun, ist uns noch auferlegt, das Positive ist uns schon gegeben“, zitierte sie den in Prag geborenen Schriftsteller Franz Kafka (1883–1924), um fortzufahren: „Wenn die Entscheidung immer so einfach wäre. Die Qual der Wahl zwischen Gut und Böse, das ‚der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir‘ als die Maxime meines Handelns im Sinne von Kant, wenn das so einfach wäre. Die Tat ist frei; die Wirkung nicht, da fangen dann die Gesetze, Konsequenzen und gegebenenfalls die Sanktionen an, sonst würde es diese JVA gar nicht geben müssen.“

Genau in dieses Störfeld, das sich in diesem Bereich auftut, in dieses Spannungsfeld wollten sie als Künstler „einbrechen“. Weiter legte sie dar, dass sich diese Künstler, die mitgewirkt haben, die Freiheit nehmen, mit jedem Menschen zu arbeiten, ohne zu betrachten, was dieser verbrochen, was jener gemacht hat. „Wir sind den Menschen begegnet in einem spielerischen Dialog. Professionelle und die, die es werden wollen, haben partizipatorisch gearbeitet in dem Workshop; ihr Gegenüber getroffen und durch Kunst einen zweckfreien Raum, einen Freiraum definiert, ohne ,ein um zu ...‘“, zu erwarten.
Frau Professor Eller-Rüter unterstrich, dass sich das Künstlerteam nicht als Seelsorger verstand, nicht als Therapeuten, nicht als Sozialarbeiter und schon gar nicht als „Menschenverbesserer“. Dies stehe ihnen als Künstler gar nicht zu. Die Freiheit sei ein komplexes und fragiles Gut, wie man an diesem Projekt sehen könne.

Professor Bajek erläuterte, für ihn, der als junger Mensch in den achtziger Jahren noch für die Freiheit gekämpft habe, sei es das Wichtigste, dass in dem Projekt Menschen anderen Menschen begegnet seien.
Neben den 35 direkt an dem Kunstworkshop beteiligten Personen gab es noch vielseitige Unterstützung aus Bereichen, die man bei einem solchen Projekt nicht unbedingt erwartet. So halfen seitens der JVA Siegburg Gefangene und Bedienstete aus den Bereichen der Anstaltsschreinerei, der Hauselektrik, der Kantine und der sogenannten Hof-Außenkolonne, die normalerweise den Außenbereich der JVA pflegt. Alle haben aktiv zum Gelingen des Projektes beigetragen.
Dabei sollte nicht vergessen werden, wie es Frau Professor Eller-Rüter ausdrückte, dass man auch auf einen Anstaltsleiter treffen muss, der so „open-minded“ ist, und ein Justizministerium, das eine solche Aufgabe als Herausforderung annimmt, sich selbst zugleich aber in einer langen Tradition stehend sieht, die Kunst im Bereich der Justiz und insbesondere in den Justizvollzugsanstalten zu fördern.

Jörg Gieseking
(Justizvollzugsanstalt Siegburg)

Weitere Informationen auch unter: www.jva-siegburg.nrw.de/infos/veranstaltungen/Frei-Raeume-2016-09/index.php