Europa fordert mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für Kinder, deren Eltern inhaftiert sind

Am 6. November 2012 wurden in Brüssel die Ergebnisse des Forschungsprojekts COPING vorgestellt und politische Schlussfolgerungen gezogen. Die Ergebniskonferenz hatte den Titel „Umgang mit der Inhaftierung eines Elternteils – eine Agenda für politische Reformen“.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe war mit der Geschäftsstelle vor Ort.

Ungefähr 800.000 Kinder dürften nach aktuellen Schätzungen in der EU von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen sein. Obwohl die Rechte der Kinder auf ein Familienleben und auf Wohlbefinden in nationalen Gesetzen und internationalen Vereinbarungen verankert sind, bleiben konkrete politische Maßnahmen hin zu einer angemessenen Versorgungssituation bislang weitestgehend aus.

Das von der EU geförderte Projekt „COPING – Kinder von Strafgefangenen: Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit und Minderung der Risiken“ verfolgte das Ziel, zum einen eine bessere Kenntnis über die Schwierigkeiten und Bedürfnisse der Kinder, ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Anfälligkeit für psychische Probleme zu erlangen und zum anderen einen Überblick über das bestehende Unterstützungsangebot zu erhalten.

Von links: Dr. Matthias Schützwohl (Uni Dresden), Sylvia Starke und Justyna Bieganski (Treffpunkt),
Dr. Klaus Roggenthin (BAG-S)

Die kindzentrierte Studie widmete sich in den Jahren 2010 - 2012 der Befragung von über 700 Kindern in Schweden, Deutschland, Rumänien und England. In Deutschland wurde die Studie von der Technischen Universität Dresden in Kooperation mit dem Verein Treffpunkt in Nürnberg durchgeführt.

In den einleitenden Ansprachen von Maja Gabelica Supljika, der stellvertretenden Ombudsfrau für Kinder in Kroatien, der Baroness Hale of Richmond, Richterin am Obersten Gerichtshof in Großbritannien sowie Jean Lambert, Mitglied des Europaparlamentes, wurde betont, dass die Konferenz die Gelegenheit biete, die Stimme der Kinder von Gefangenen zu hören, sie mithin öffentlichen Behörden und sozialen Infrastrukturen sichtbar zu machen. Ferner wurde auf die Verpflichtung der Staaten, die Kinderrechtskonvention zu erfüllen, hingewiesen und betont, dass alle, die im Strafrechtssystem, im Sozialsystem oder im Bereich Erziehung arbeiten, die Bedürfnisse dieser Gruppe von Kindern wahrnehmen und entsprechende Unterstützung anbieten müssen, zumal es mehr Kinder mit einem Elternteil im Gefängnis gebe als Scheidungskinder existierten.

Die an der Untersuchung beteiligten Forscher machten unter anderem auf folgende Ergebnisse aufmerksam:

  • Ein Viertel der Kinder mit einem Elternteil im Gefängnis sind auffällig psychisch belastet.
  • Kinder reagieren oft verstört auf die Situation, besonders während der Phasen der Verhaftung, dem Gerichtsverfahren und zu Beginn der Inhaftierung.
  • Schulen können wichtige Unterstützung leisten bei schulrelevanten Problemen, aber auch in Bezug auf emotionale Unterstützung und Beratung.
  • Eine gute Kontaktqualität zu dem inhaftierten Elternteil ist ausschlaggebend für die Belastbarkeit der Kinder.

Zahlreiche Fachleute und Lobbyorganisationen für Kinder brachten sich in die Veranstaltung ein. Rachel Brett, Vertreterin für Menschenrechte und Flüchtlinge beim Quaker United Nations Office versprach,  sich bei der nächsten Überarbeitung der „UN Standard Minimum Rules on the Treatment of Prisoners“ (UN Mindestvorschriften für die Behandlung von Strafgefangenen) für die Aufnahme von Regelungen einzusetzen, die auf Gesundheit im Gefängnis und Kinder von Inhaftierten Bezug nehmen. Stefan Enggist, Leiter für das Thema Gefängnisse und Gesundheit bei der World Health Organisation sagte, dass die aktuelle Ausgabe des Gesundheitsleitfadens der Weltgesundheitsorganisation ein Kapitel über Frauen enthalte, in dem das Thema Kinder mit einem Abschnitt behandelt werde. Für die zweite Ausgabe kündigte er an,  sicherstellen, dass den Vätern mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde und auch die Kinder mehr Berücksichtigung finden sollten. Außerdem betonte er,  dass es bei Strafanstalten keineswegs nur um Sicherheitsfragen gehen dürfe. Vielmehr müssten sich Gefängnisse mit anderen Bereichen des Lebens auseinandersetzen, insbesondere auch um die Wiedereingliederung zu fördern. Verena Knaus, die leitende politische Beraterin von  UNICEF Brüssel sprach sich dafür aus, dass Gefängnisse Kontaktmöglichkeiten für diese gefährdete Kinder und Jugendlichen entwickeln sollten, die der Normalität entsprechen und allgemein zugängliche Technologien wie Skype und E-Mail beinhalten. Frau Knaus unterstrich, dass es dem COPING-Projekt gelungen sei, eine bislang unsichtbare Gruppe von Kindern sichtbar zu machen. Sie kündigte an, die Kinder von Strafgefangenen in die Gruppe von gefährdeten Kindern bei UNICEF aufzunehmen, die berücksichtigt und anerkannt werden müssen. Auch Margaret Tuite, Koordinatorin der Kinderrechte in der Europäischen Kommission bekannte sich dazu die Gruppe der Kinder von Gefangenen angeregt durch die COPING-Konferenz in ihren Zuständigkeitsbereich aufzunehmen.

Auch Kindern von Inhaftierten und Haftentlassenen hatten Gelegenheit, ihre Erfahrungen und Forderungen in die Veranstaltung einzubringen. Unterstützt wurden sie dabei von den Organisationen Bryggan in Schweden und Partners of Prisoners and Families Support Group (POPS) in England. Sie hoben vor allem hervor, wie wichtig es sei, dass die betroffenen Kinder und Jugendliche Informationen darüber erhielten, was mit dem Elternteil passiert sei, wo es sein werde und wann es zurück komme.

Wichtiger Bestandteil der Konferenz waren die aus den Forschungserkenntnissen abgeleiteten politischen Empfehlungen. Nachfolgend eine Auswahl:

  • Polizeiliche Maßnahmen und Abläufe bei der Verhaftung und Durchsuchung sollten im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention stehen.
  • Gerichte sollten das Interesse des Kindes bei der Verurteilung berücksichtigen.
  • Gefängnis- und Sicherheitsmaßnahmen sollten mit dem Wohlbefinden des Kindes im Einklang stehen; kindgerechte Besucherräume sind notwendig.
  • Der EU sowie die einzelnen Länderregierungen müsse bewusst gemacht werden, dass Kinder von Strafgefangenen existieren und einen spezifischen Versorgungsbedarf haben.
  • Schulen sollten Kinder von Gefangenen in diskreter und nicht-diskriminierender Weise identifizieren und sie bei der Bewältigung der Situation unterstützen.
  • Fachleute sollten darauf vorbereitet sein, Eltern und Bezugspersonen Rat und Unterstützung darüber anbieten zu können, wie man mit den Kindern über die Inhaftierung ihres Elternteils spricht.
  • Das versorgende Elternteil sowie Großeltern und Geschwister spielen eine wichtige Rolle. Dies müsse anerkannt und unterstützt werden.

Dieser Text basiert auf der Bearbeitung einer Pressemitteilung des COPING-Konsortiums und einer Internetveröffentlichung von Treffpunkt e.V. durch die Geschäftsstelle der BAG-S.