Die Macht der Schmetterlinge

Wenn es stimmt, dass „ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Mexiko auslösen kann“ so Sandy Watson, Initiatorin und Koordinatorin der EU-Lernpartnerschaft FLIP „was hindert uns dann daran, davon auszugehen, dass wir mit unseren kleinen, aber feinen Initiativen die Wende zu effektiver Familienorientierung im Gefängnis bewirken können“.

FLIP steht für „Familiy-Learning in Prisons“ also Familienlernen bzw. Angehörigenarbeit im Gefängnis und im Rahmen des Übergangsmanagements. An dem zweijährigen Projekt sind Praktiker und Behörden aus fünf Ländern beteiligt: Großbritannien (G4S Care & Justice Services), Irland (Saint Nicholas' Trust) , Finnland (Helsingin vankila), Dänemark (Kriminalforsorgen Pension Engelsborg) und  Deutschland (Hessisches Ministerium der Justiz, für Integration und Europa in Kooperation mit dem Grone Bildungszentrum Hessen).

Zur Finanzierung konnten Mittel aus dem Grundvig-Programm der Europäischen Union eingeworben werden. Ziel ist der länderübergreifende Erfahrungsaustausch über die jeweiligen Ansätze, Initiativen und Fortschritte auf dem Weg zu familienfreundlicheren Haftbedingungen und Behandlungsformen.

Corin Morgan-Armstrong, Mitglied der britischen Delegation, ist davon überzeugt, dass eine rationale Justizpolitik verstärkt auf Familienorientierung im Vollzug setzen sollte, um die Wiedereingliederung zu fördern „Unsere Daten aus Großbritannien zeigen unzweifelhaft, dass Familienarbeit einen wesentlichen Beitrag zur Resozialisierung der Inhaftierten leistet … die Rückfallquote bei Gefangenen ohne familienunterstützende Maßnahmen beträgt 70 Prozent“ und weiter... „Gefangenen, denen man während der Haft hinreichende Kontakte zu ihren Kindern, Partnern und Angehörigen ermöglichte, wurden nur noch zu 52 Prozent wieder straffällig“. Rikke Betak, Delegierte der dänischen Delegation ergänzte, dass es „stichhaltige Hinweise dafür (gibt), dass Familienarbeit im Gefängnis einen zweiten Ring von Sicherheit (second security) im Gefängnis (zieht). „Befriedigendere Kontakte zu den Familienangehörigen“, so die Familientherapeutin, „steigern das Wohlbefinden und reduzieren destruktive Impulse der Inhaftierten.“

Wie arbeitet nun diese Lernpartnerschaft? Um die gute Praxis der beteiligten europäischen Mitgliedstaaten intensiv kennenzulernen, laden sich die Partner zum Erfahrungstausch vor Ort ein. Nach Besuchen in Finnland, Dänemark und Irland war diesmal das Land Hessen vom 29. Januar bis 1. Februar 2013 Gastgeber in Wiesbaden. Auf dem Programm standen zum einen die wechselseitige Information über aktuelle Entwicklungen und zum anderen Besuche mehrerer Haftanstalten. Die Teilnehmenden informierten sich dabei über die Rahmenbedingungen der Mütter-Kind-Gruppe im geschlossen und offenen Frauenvollzug in Frankfurt Preungesheim, über die Väter-Kind-Gruppe der JVA Butzbach sowie über Wohngruppenarbeit und Qualifizierungsmaßnahmen in der JVA Wiesbaden.

In den Gesprächen der Teilnehmer wurde insgesamt deutlich, dass sich die Implementierung familiensensibler Vollzugsbedingungen in den einzelnen Ländern in verschiedenen Tempi und in unterschiedlicher Weise vollzieht. Während in Dänemark nach dem Leuchtturmprojekt Familienhaus mit der beschlossenen Einführung von Kinderverantwortlichen in allen Vollzugsanstalten bereits eine weitreichende Weichenstellung zur nachhaltigen Verankerung der Kinderperspektive in den Vollzug vorgenommen wurde, zeichnen sich Großbritannien, Deutschland, Finnland und Irland bisher noch durch vereinzelte, gleichwohl höchst engagierte Projekte aus. Die Teilnehmer waren sich einig, dass es ohne Bottum-Up-Initiativen der Praktiker schwer sei, Politik und Verwaltung vom Wert, Nutzen und Notwendigkeit familienunterstützender Angebote im Gefängnis zu überzeugen. Die Sozialen Dienste sollen daher weiter ermuntert werden, ihre Sachkenntnis selbstbewusst in die Organisationsentwicklung einzubringen.

Trotzdem bedarf es aus Sicht der BAG-S selbstverständlich auch verlässlicher Finanzierungsstrukturen, um die Kontinuität und die Weiterentwicklung der Angebote zu ermöglichen. Familienarbeit muss zu einer festen Größe in den Haushaltsplänen der Justizverwaltungen und Anstalten werden. Noch ein Gedanke ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Die Freie Straffälligenhilfe in Deutschland hat vielerorts das Know-how, Anstalten in Fragen der Familienorientierung zu beraten und unter bestimmten Voraussetzungen Dienstleistungen zu übernehmen. Die BAG-S stellt gerne entsprechende Kontakte her.

Insgesamt zeigte der Austausch der Experten, dass es sehr wertvolles Wissen und viel Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, Familien und inhaftierten Eltern im Gefängnis gibt. Es bestehen ziemlich konkrete Vorstellungen, welche Strukturen ein familienbezogener Vollzug benötigt und welche Hürden noch zu überwinden sind, um zu einer befriedigenderen Versorgungsstruktur zu gelangen. Um den Transfer der Beratungsergebnisse in die Praxis zu gewährleisten, wird die Lernpartnerschaft  am Ende der Austauschmaßnahmen einen Leitfaden für die Familienarbeit im Gefängnis vorlegen. 

                                                                                                    Klaus Roggenthin

Weitere Informationen

Jörg Weber
Hessisches Ministerium der Justiz, für Integration und Europa
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