Ein Musterbeispiel dafür ist die Antwort der Landesregierung auf die Anfrage „Situation der minderjährigen Kinder inhaftierter Elternteile“ vom 26. 2.2013. Darin konfrontieren die beiden FDP-Landtagsabgeordneten die nordrhein-westfälische Regierung mit neueren Forschungserkenntnissen, die belegen, dass unzureichende Kontaktmöglichkeiten mit dem inhaftierten Vater bzw. Mutter ein gelingendes Aufwachsen stark gefährden können. Außerdem verweisen sie auf die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Kinderrechtskonvention. Diese gesteht betroffenen Minderjährigen in Artikel 9 ausdrücklich das Recht auf persönlichen Kontakt auch mit demjenigen Elternteil zu, der eine Freiheitsstrafe verbüßt. Vor diesem Hintergrund wollen die Abgeordneten konkret wissen, welche Versorgungsstrukturen für die betroffenen Kinder- und Jugendlichen bereits bestehen, wie der Bedarf erhoben wird und welche Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen geplant sind.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die zwischen Justiz- und Familienministerium abgestimmten Antworten machen die Versorgungslage nicht wirklich transparent, im Gegenteil. Zwar wird das potentielle Spektrum familienorientierter Angebote und Maßnahmen („Spielsachen in Besuchsräumen“, „nicht überwachte Langzeiträume“ „Ausgang“, „Hafturlaub“ u.a.) skizziert. Es lässt sich jedoch nicht beurteilen, welches Angebot in welchem Gefängnis tatsächlich in welcher Qualität bzw. Häufigkeit und unter welchen Zugangsvoraussetzungen verfügbar ist. Auch die beigefügte Tabelle mit Angeboten einzelner JVA´s löst dieses Problem nicht. Vielmehr entwickelt die schiere Menge und die Heterogenität der aufgeführten Maßnahmen die Wirkung einer Nebelkerze. Hat man zunächst den Eindruck, dass doch schon eine ganze Menge im Lande passiert, zeigt sich bei genauerem Hinsehen beispielsweise, dass nur solche Anstalten Eingang in die Liste fanden, die irgendein „familienorientiertes“ Angebot vorhalten. Die meisten Fragen bleiben offen (Auswahl): Wie ist es um die Kind-Eltern-Beziehungspflege in den nicht erwähnten Gefängnissen tatsächlich bestellt? Welche durchschnittliche Besuchsdauer in welchen Räumen wird den Kindern gewährt? Nehmen die Besuchszeiten in allen nordrhein-westfälischen JVA´s ausreichend auf berufstätige Eltern und schulpflichtige Kinder Rücksicht? Treffen die Anstalten Vorkehrungen, Kindern und Eltern die schwierige Situation des Gefängnisbesuchs zu erleichtern (Beratung, wie aufrichtig mit dem Kind umzugehen ist in Bezug auf die Inhaftierung)? Reichen zwei teilfinanzierte Leuchtturmprojekte an zwei Standorten landesweit aus, um die legitimen Bedürfnisse von Kindern abzudecken?
Ein Grundproblem liegt darin, dass, wie in der Antwort auf Frage drei deutlich wird, bislang keine Bedarfsanalyse vorgenommen wird. Man weiß nicht, wie viele Kinder überhaupt betroffen sind, wie alt diese sind und ob diese beim verbliebenen Elternteil wohnen oder fremd untergebracht sind. Diese und andere notwendige Daten werden bis heute weder in NRW noch in anderen Bundesländern systematisch erhoben und verhindern so bereits im Ansatz ein Nachdenken über bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn es in der Antwort der Landesregierung heißt „Statistische Erhebungen zu dieser Frage werden (…) nicht für erforderlich gehalten.“ (S.3) Bleibt zu hoffen, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels in der Sozialen Strafrechtspflege durchsetzt, der die gefährdeten Kinder von inhaftierten Eltern viel stärker als bislang in den Blick nimmt. Die Erarbeitung eines neuen Strafvollzugsgesetzes in NRW stellt eine große Chance dar, zukunftsweisende Weichen für einen familiensensibleren Justizvollzug zu stellen.