Auf dem Weg zu einem familiensensibleren Strafvollzug

Anfang 2012 hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe Empfehlungen zu einem "Family Mainstreaming" im Strafvollzug veröffentlicht mit dem Ziel Politik, Verwaltung und Fachöffentlichkeit auf ein in Deutschland nahezu unbearbeitetes justiz-, sozial- und familienpolitisches Problem aufmerksam zu machen: Die Not und die schlechte Versorgungslage der mitbestraften Dritten, nämlich der Angehörigen von strafffällig gewordenen und insbesondere die Kinder inhaftierter Eltern. Die Rahmenbedingungen für die Pflege familiärer Beziehungen sind durch die Haft in aller Regel in unzumutbarer Weise erschwert. Ungeeignete Besuchsbedingungen, fehlende moderne Kommunikationsmöglichkeiten, zu wenig Angebote für Inhaftierte, verantwortungsvolle Elternschaft einzuüben und vor allen zu wenig unterstützende Angebote für die betroffenen Kinder, die internationalen Studien zufolge, ernsthaft in ihrer Entwicklung gefährdet sind und ein erhöhtes Risiko laufen, selbst straffällig zu werden. Mehr als zwei Jahre sind seitdem vergangen, genug Zeit, sich einmal umzuschauen, was sich mittlerweile getan hat.  Es soll an dieser Stelle der Blick nicht auf die großen, relativ  bekannten Projekte gerichtet werden, wie z.B. das EU-COPING-Forschungsprojekt oder die neuen Online-Beratungsportale für Kinder von Caritas und Treffpunkt e.V., über die wir an anderer Stelle bereits kurz berichtet haben. Vielmehr wollen wir Ihnen heute eine Auswahl an kleinen, engagierten Initiativen in nordrheinwestfälischen Gefängnissen vorstellen, die zwischenzeitlich etwas in Gang gesetzt haben.

 

Gesprächsgruppe "Väter in Haft" in der JVA Geldern

In der JVA Geldern haben sich inhaftierte Väter zusammengeschlossen und mit Hilfe der zuständigen Pfarrer die Gesprächsgruppe "Väter in Haft" gegründet, um neben den allgemeinen Seelsorgern ein Angebot speziell für die Belange inhaftierter Väter zu schaffen. Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es inzwischen bereits eine zweite Gruppe. Im Vordergrund steht vor allem der Austausch zwischen den Vätern, die sich bedingt durch ihre Haftsituation in verschiedenen Verhältnissen zu ihren Kindern befinden und somit gegenseitig voneinander lernen können. Allerdings handelt es sich nicht nur um eine reine Gesprächsgruppe, sondern es werden auch Treffen mit externen Stellen organisiert, so fand zum Beispiel ein Treffen mit einem Familienrichter statt. Außerdem ermöglichte die Gruppe einen "Vater-Kind-Tag" in der JVA und sorgte für die kindgerechte Umgestaltung der Besucherräume. Dies gelang u.a. mit einem eigens dafür entwickelten Plakat, das den Kindern bei der Orientierung vor einem Besuch im Gefängnis helfen soll (siehe Foto). 

Projekt "KNUK" in der JVA Remscheid-Lüttringhausen

Das Projekt "KNUK" bietet Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder während der Besuchszeit betreuen zu lassen. So können die inhaftierten Väter ihre Kinder sehen und dennoch persönliche Angelegenheiten mit ihren Partnern in ruhiger Gesprächsatmosphere besprechen. Dazu wurde ein leicht zugänglicher Raum speziell für Kinder im Bereich der Besuchsabteilung errichtet, der von ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut wird. Hierbei handelt es sich um ein Projekt der Evangelischen Bergischen Gefängnis-Gemeinde e.V. und evangelischen Anstaltsseelsorge im Rahmen der "Aktion Lichtblicke NRW" in Kooperation mit der JVA Remscheid-Lüttringhausen sowie dem Berufskolleg Käthe-Kollwitz Remscheid.

Foto: Projekt "KNUK"

Kindgerechter Besucherraum in der JVA Kleve

In der JVA Kleve hat sich die Vätergruppe (Gruppe von inhaftierten Vätern) für die kindgerechte Umgestaltung eines Besucherraums eingesetzt. Die Umbauarbeiten wurden von den Gefangenen selbst umgesetzt, inklusive der Herstellung der entsprechenden Einrichtungsgegenstände.

Projekt "Bindungsräume" in der JVA Köln

Bei dem Projekt "Bindungsräume" handelt es sich um ein Projekt der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft und der JVA Köln. Es geht zurück auf eine Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe. Am Projektverbund sind ferner beteiligt die freie Straffälligenhilfe (SKM und SKF Köln), Morning Tears Deutschland und Children for a better World. Ziel ist nicht nur die kinderfreundliche Umgestaltung der Besuchsräume, sondern bereits der Weg dort hin: mit Hilfe eines speziellen Leitsystems sollen die Kinder von der Straßenbahnstation durch die Kontrollschleuse und den Warteraum bis hin zu den Besuchsräumen geleitet werden. Start des Projekts war am 20.09.2013, im Herbst/Winter 2014 sollen die ersten Verbesserungen von den Kindern und Eltern nutzbar sein.

Besuchercafé in der JVA Siegburg

Seit dem 2.April 2014 gibt es in der JVA Siegburg das Besuchercafé "Café Luise" speziell für die Angehörigen Inhaftierter, die dort die Möglichkeit haben, ihre Wartezeit zu überbrücken. Außerdem können sie sich dort mit anderen Angehörigen austauschen oder mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern ins Gespräch kommen. Das Projekt wurde vom Verein für Soziale Dienste im Rhein-Sieg Kreis und in Kooperation mit dem Katholischen Gefängnisverein Siegburg e.V. initiiert. 

 

Die vorgestellten Angebote sind kleine Bausteine für einen familiensensibleren Vollzug. Die dahinter stehenden Ehrenamtlichen, Gefangenen und Fachkräfte haben sich nicht mit den bestehenden Bedingungen abgefunden, oder sich entschieden, zu warten, bis die Sache von "oben" entschieden wird. Sie haben sich mit den Missständen und Mängeln jetzt und gleich auseinandergesetzt und versucht, erste Alternativen zu entwickeln. Dies ist ein bemerkenswerter Prozess, der zeigt, dass Familienorientierung im Strafvollzug als Thema mehr und mehr an der "Basis" ankommt. Natürlich bedarf es darüber hinaus vor allem des politischen Willens und angemessener rechtlicher Grundlagen, um Haftzeiten für Familien und Kinder erträglicher zu machen. Bis dahin helfen Initiativen wie die geschilderten einem Teil der betroffenen Menschen, etwas besser mit der Inhaftierung eines Elternteils, Partners oder Angehörigen, einer per se familienfeindlichen Situation, zurecht zu kommen.

Wenn Sie Kenntnis von weiteren interessanten Projekten im Bundesgebiet haben, würden wir uns über einen entsprechenden Hinweis und ggf. dazugehörige Materialien freuen. Kontakt: info(at)bag-s.de

Übrigens werden wir auf unserem Bundeskongress im September im Rahmen von Workshops auch 5 Beispiele für familienfreundliche Initiativen in Freier Straffälligenhilfe und Vollzug vorstellen. Es sind noch wenige Plätze frei. Über Ihr Kommen würden wir uns freuen.

 

Dr. Klaus Roggenthin

Nora Pietrass