Angehörigenarbeit ist ein Schlüssel für Teilhabe und Wiedereingliederung

Am 20. Juni 2012 fand im Lighthouse in Essen die Fachveranstaltung "Angehörigenarbeit und Bedeutung sozialer Beziehungen für Straffällige" statt. Veranstalter war die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurden der Stellenwert und die Leistungen derAngehörigenarbeit für Inhaftierte erörtert.

Winfried Mainzer, Abteilungsleiter im nordrheinwestfälischen Justizministerium und zuständig für die 37 JVA´s im Land, bedauerte in seinem Statement den derzeitigen Vorrang sicherheitsorientierter Maßnahmen zu Lasten des Ausbaus behandlungsorientierter Angebote, zu denen auch die Pflege familialer Beziehungen gehöre. Umsomehr betonte er die Notwendigkeit eines vertrauensvollen Behandlungsbündnisses zwischen dem Vollzug und der Freien Straffälligenhilfe. Wenn es gelinge, hilfreiche soziale Kontakte aufrecht zu erhalten, erhöhe sich auch die Tragfähigkeit des sozialen Empfangsraumes für die Haftentlassenen. Die Freie Straffälligenhilfe sei daher ein unverzichtbarer Partner für das Übergangsmanagement.

Gernot Hahn, promovierter Sozialarbeiter und Leiter der Forensischen Ambulanz in Erlangen, referierte anschließend auf Basis eigener Forschungsarbeiten über die Bedeutung von Familien und sozialen Bindungen. Er betonte eingangs, dass die Vorstellung eines "Selbst", also die personale Identität eines Menschen, ohne sozialen Bezug, also ohne Gemeinschaft und soziale Beziehungen,nicht vorstellbar sei. Dies bedeute, dass im Prozess der Resozialisierung die erforderliche Neuorientierung der Person auf positive soziale Erfahrungen, z.B. im Rahmen positiver Bindungen zu Familienangehörigen, angewiesen sei. Auch für die Angehörigen des Gefangenen sei die Inhaftierung in der Regel ein schwerwiegender Einschnitt und bedeute nicht nur den Entzug einer zentralensozialen Bezugsperson, also des Partners, des Vaters oder der Mutter aus dem Alltagsleben, sondern sei zudem fast immer mit sozialem Statusverlust und der Gefährdung der materiellen Sicherheitverbunden. Insbesondere Kinder seien durch die Inhaftierung eines Elternteils einem hohen Gefährdungspotential ausgesetzt. Erkenntnisse aus der Traumaforschung würden darauf hinweisen, dass es im Zuge der Bewältigung von psycho-sozialen Belastungen zu einer Art negativen Lernen am Modell kommen könne. In einem Prozess der Übertragung früher belastender Erfahrungen könne es mithin zu eigener Delinquenz im weiteren Verlauf der Biographie kommen.

Melanie Mohme und Thomas Wendland von "Freiräume", einer Einrichtung, die sich auf Angebote für Kinder und Familien von Inhaftierten und Haftentlassenen spezialisiert hat, informierten danach über das breite Angebotsspektrum der Anlaufstelle, die zur Diakonie für Bielefeld gGmbH gehört.
Dazu zählen Angebote innerhalb und außerhalb des geschlossenen Vollzuges sowie Angebote in offenen Vollzugseinrichtungen. Im Einzelnen siehe: http://johanneswerk.de/de/einrichtungen/diakonie-fuerbielefeld/paedagogik/hilfen-in-krisensituationen/freiraeume-fuer-kinder-inhaftierterelternteile.html.
Die Mitarbeiter von "Freiräume" berichteten über die kontinuierliche Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Vollzug und das im Gleichschritt wachsende Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern.

Im anschließenden Workshop wurde unter anderem die Frage diskutiert, wie es gelingen könne, diese exemplarisch gute Zusammenarbeit auch landes- und bundesweit als Modell für weitere Initiativen zu nutzen. Hilfreich, so wurde gesagt, wäre es in diesemZusammenhang, wenn Anstaltsleiter ihre guten Erfahrungen mit der Angehörigenarbeit der Freien Straffälligenhilfe im Kollegenkreis bzw. im Kontakt mit den zuständigen Ministerien kommunizieren würden und wenn die Justiz Familienorientierung im Strafvollzug zunehmend als eigene Aufgabenstellung mit entsprechender Finanzverantwortung verstehen würde.


Klaus Roggenthin/BAG-S