Wie weiter mit der Ersatzfreiheitsstrafe?

Der Humanistische Bundesverband Deutschlands (HVD) hat zusammen mit dem Paritätischen Berlin und dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg am 7. Oktober 2022 eine Veranstaltung unter der Überschrift "Mehr soziale Gerechtigkeit im Strafrecht: Wie weiter mit der Ersatzfreiheitsstrafe?" organisiert.

Rund 50 Gäste kamen aus unterschiedlichen Berufsfeldern ins Haus des HUMANISMUS in Berlin-Schöneberg.

Dem Grundsatz nach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Eine Diskriminierung aufgrund von Armut ist nicht zulässig und muss verhindert werden. Der Koalitionsvertrag 2021 legt fest, dass die Ersatzfreiheitsstrafe (EFS) überprüft werden soll. Die Bundesregierung hat dazu einen Referentenentwurf vorgelegt, auf den die Sozialverbände reagiert haben (siehe auch hier).

In der Veranstaltung stand die Frage im Raum: "Reicht der Entwurf aus, um die soziale Schieflage zu beheben? Oder braucht es mehr soziale Gerechtigkeit?"

Dr. Frank Wilde (Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg) stellte fest, dass der Entwurf in die richtige Richtung gehe, aber die Ursachen nicht beseitige. Er kritisiert:

  1. Im Rahmen der Strafvollstreckung gäbe es Probleme, die mit der prekären Lebenssituation der Betroffenen zusammenhängen.
  2. Ist die Ersatzfreiheitsstrafe verhältnismäßig? Kann man mit einem so scharfen Schwert angemessen auf Bagatelldelikte reagieren?
  3. Die EFS sei keine Randerscheinung. Bei ca. 50.000 Verfahren pro Jahr könne man davon ausgehen, dass jede zweite Person inhaftiert wird, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlt hat. Pro Tag zahle der Staat über 500.000 Euro für die Vollstreckung der EFS.
  4. Die Abschaffung der EFS wird (mit der Begründung der Abschreckung) vom Entwurf abgelehnt. Durch die vorgeschlagene Halbierung wird die Anzahl der Personen mit einer EFS nicht reduziert, die Ursachen werden nicht beseitigt.
  5. In über 80 % der Fälle kennt die Staatsanwaltschaft nicht das Einkommen der Personen, die von einer EFS betroffen sind, dadurch komme es zu einer willkürlichen Praxis. Die Strafen sollten den wirtschaftlichen Verhältnissen angepasst werden. Dabei ist zu bedenken, dass Betroffene bei einem ALG II-Tagessatz von 15 Euro nicht auf existenziell Notwendiges verzichten können. Die Grenze müsse die Zumutbarkeit sein, also z.B. ein bis drei Euro bei ALG II.

Dr. Ronan Steinke moderierte die Diskussion und fragte die Politiker:innen, wie ernst sie es damit meinten, die Anliegen der von EFS betroffenen Menschen zu schützen.

Karen Schubert (Referentin der Linken und i.V. für MdB Clara Bünger) sagte, dass eine Halbierung nicht ausreichend sei. Der Fokus solle mehr auf Resozialisierung und Prävention liegen. Die Halbierung sei ein Fortschritt, trotzdem kämen Betroffene weiter ins Gefängnis und würden aus ihrem sozialen Umfeld geholt. Mittellose kämen weiter ins Gefängnis und Arme würden bestraft. Sie spricht sich für eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe aus.

Katrin Helling-Plahr (MdB FDP) kann sich nicht vorstellen, dass Taten für manche Menschen konsequenzlos bleiben soll. Dies würde gesellschaftlichen Sprengstoff bieten. Sie spricht sich dafür aus, alle Hände auszustrecken, indem man Ratenzahlungen und eine Ableistung durch freie Arbeit anböte, um eine EFS zu vermeiden. Die Halbierung sei ein guter Kompromiss. Das Strafrecht müsse auf jeden Fall entrümpelt werden.

Elena Blessing (SPD) findet die verfahrensrechtlichen Reformen des Referentenentwurfes gut. Die Betroffenen sollten ihre Verfahrensrechte geltend machen können. In möglichst vielen Fällen solle die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe vermieden werden.

Dr. Nicole Bögelein (Universität Köln) hat sich das schwedische System angesehen. Dort wird die Ersatzfreiheitsstrafe nur vollstreckt, wenn eine Zahlungsunwilligkeit vorliegt. Nur wenige Betroffene hierzulande würden ihre Rechte wahrnehmen. Dabei wurden 1/3 der Ersatzfreiheitsstrafen wegen Ladendiebstahls verhängt und 1/4 für Schwarzfahren. Es handelt sich dabei um sog. Armutsdelikte, die begangen werden, weil der/die Betroffene kein Geld hätte. Bis zu 40 % Obdachlose sind betroffen. Sie würden keine Briefe erhalten und die Sprache oft nicht verstehen, so dass in diesen Fällen auch kein Unwille vorläge.

Am Ende der Veranstaltung wurde über die unterschiedlichen Aussagen diskutiert.

 

Klicken Sie hier, um den Mitschnitt der Fachveranstaltung am 7. Oktober 2022 zu sehen.

Eine Zusammenfassung des Humanistischen Verbandes Berlin finden Sie hier.