Informationsdienst Straffälligenhilfe: Aktuelle Ausgabe

Die erste Ausgabe unserer Zeitschrift in 2021 ist erschienen und widmet sich dem Thema "Die Pandemie - eine Zäsur für die Straffälligenhilfe".

Die neue Ausgabe enthält Artikel über die Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe, ein Praxisgespräch mit der Freien Straffälligenhilfe, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beratungsstellen, Inhaftierte und deren Angehörige, ein Interview mit Dr. Annelie Ramsbrock zu ihrem neuen Buch und vieles mehr. In eigener Sache ist dort die BAG-S Stellungnahme zum Gesetzgebungsverfahren ResOG SH zu lesen.

 

Lesen Sie hier schon mal das Editorial:

Liebe Leserinnen und Leser,

seit gut einem Jahr schon beeinflusst das Virus SARS-CoV-2 den Alltag der Menschen in Deutschland. Seitdem gelten strengere Hygienevorschriften, Kontaktbeschränkungen und das öffentliche Leben wurde weitestgehend eingeschränkt (vorübergehende Schließung von Schulen, Kindergärten/-tagesstätten, Gastronomie und Einzelhandel). Was Menschen in Freiheit als Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität empfinden, hat für Menschen in Haft folgenreichere Auswirkungen. Beispielsweise wurden Besuche ausgesetzt – in manchen Anstalten ohne Ersatz, in anderen Haftanstalten wiederum wurde Videotelefonie eingeschränkt zur Verfügung gestellt. Verheerend sind die Kontaktunterbrechungen nicht nur für die Inhaftierten selbst, sondern auch für Angehörige und speziell für Kinder. In den meisten Fällen durften Kinder unter sechs Jahren ihr inhaftiertes Elternteil nicht besuchen gehen. Sofern keine Möglichkeit der Videotelefonie bestand, wurde die Aufrechterhaltung der Beziehung beziehungsweise der Aufbau einer emotionalen Bindung deutlich erschwert. Zudem wurde in den meisten Arbeitsbetrieben die Arbeit eingestellt. In manchen Justizvollzugsanstalten haben die Inhaftierten eine Lohnfortzahlung erhalten, in anderen Haftanstalten jedoch nicht. Für Inhaftierte mit Schulden ist der Wegfall des monatlichen Lohns tragisch und eine Tilgung der Schulden nicht möglich. Gerade für ein straffreies Leben nach der Haft sind Schulden eine Belastung und erschweren die Reintegration in die Gesellschaft.

Die Problematik der deutschlandweit unterschiedlichen Strafvollzugsgesetze wurde auch bei der Umsetzung der Corona- Maßnahmen deutlich und stellte für Gefangene in einigen Bundesländern eine größere Zumutung dar als in anderen. Aus Bayern erreichten uns Hilfeanfragen von Gefangenen, die sich ungerecht behandelt fühlten und nicht wussten, wann sie beispielsweise ihre Angehörigen wiedersehen konnten. Das wochenlange Warten auf Informationen und wie es weitergeht, verwandelte sich schließlich in Unverständnis. Das Gefängnis ist ein Ort, an dem sich Infektionen schnell ausbreiten können, sobald sie einmal ausgebrochen sind. Die Gefahr besteht vor allem darin, dass das Corona-Virus von Angestellten oder Neuzugängen in die Justizvollzugsanstalten hineingetragen wird. Besonders problematisch ist dies für (sucht)kranke und ältere Inhaftierte, die gesundheitlich angeschlagen sind und Vorerkrankungen haben, wie beispielsweise eine HIV-Erkrankung oder Lungenprobleme (COPD). Es ist daher unerlässlich, dass sowohl die Bediensteten als auch die Inhaftierten sich an die Hygienevorschriften halten. Leider wurde sich nicht in allen Haftanstalten immer streng an diese Vorschriften gehalten. So wie in dem Beitrag von Andreas Bach, Redakteur bei der Gefangenenzeitschrift »der lichtblick« auf Seite 66 berichtet wird. In den Beratungsstellen haben die Auswirkungen der Pandemie ebenfalls Spuren hinterlassen. Der direkte Kontakt mit der Klientel war oftmals nicht mehr möglich und wurde per Telefon – wenn es denn ging – und Briefkontakt aufrechterhalten. Gerade der persönliche Kontakt ist in der freien Straffälligenhilfe besonders wichtig, um den unterschiedlichen Anliegen und Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden zu können.

Dennoch wurden durch die Corona-Pandemie auch positive Entwicklungen angestoßen. Was vorher als undenkbar galt, wurde plötzlich möglich: Ersatzfreiheitsstrafen wurden ausgesetzt und das flächendeckend in ganz Deutschland. Genauer wird Nicole Bögelein in ihrem Beitrag auf Seite 19 darauf eingehen. Aber auch Handys wurden in manchen Justizvollzugsanstalten zeitweise an Inhaftierte ausgegeben, damit diese mit ihren Familien zumindest digital in Kontakt bleiben konnten. Es bleibt abzuwarten, ob die Corona-Pandemie zu einer Neujustierung des Sanktionsrechts führen wird. Es ist schon seit langem bekannt, dass Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, nicht in den Strafvollzug gehören, sondern anderweitige Unterstützungsangebote benötigen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass einer der ersten Maßnahmen während der Corona-Pandemie die Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafen war. Auch gegenüber einer Digitalisierung hat sich der Strafvollzug lange Zeit gewehrt, digitale Telefonate konnten aber vielerorts relativ problemlos und schnell umgesetzt werden. In den Worten von Frieder Dünkel und Christine Morgenstern: »Covid-19 sollte als Anlass dienen, eine ›reduktionistische Sanktions- und Strafvollzugspolitik zu intensivieren.«[1]

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Bleiben Sie gesund!

Ihre Maike Weigand

(Referentin der BAG-S)

 


[1] Dünkel, F./Morgenstern, C. (2020): Der Einfluss von Covid-19 auf den Strafvollzug und die Strafvollzugspolitik in Deutschland, in: NK Neue Kriminalpolitik, 32. Jg, Nr. 4/2020, S. 432-457

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