Informationsdienst Straffälligenhilfe: Aktuelle Ausgabe

Die dritte Ausgabe unserer Zeitschrift ist erschienen und widmet sich dem Thema "Menschenrechte in Strafvollzug und Straffälligenhilfe".

Die neue Ausgabe enthält Artikel über Menschenwürde und Menschenrechte im Gefängnis, Soziale Arbeit und Menschenrechte, Beobachtungen aus der Seelsorge, eine Indikatoren-Matrix zu Menschenwürde, spannende Forschungsprojekte und vieles mehr. In eigener Sache sind dort die Rückmeldungen des BMAS und des Justizministeriums NRW auf die gemeinsame Stellungnahme "Resozialisierung nicht gefährden – Inhaftierung und Schulden während Corona" der BAG-SB und BAG-S zu lesen.

Lesen Sie hier schon mal das Editorial:

Liebe Leserin, lieber Leser,


vor knapp 70 Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, knapp drei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Die Erklärung sollte die Ideale einer menschlichen Gesellschaft widerspiegeln und die Rechtsansprüche des Menschen genauer definieren. Der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Die Würde des Menschen, sein Recht auf Selbstbestimmung und die Gerechtigkeit bilden das Fundament der Menschenrechte. Spätestens seit der Verabschiedung der Charta der Grundrechte. Im Jahr 2000 bekannte sich die Europäische Union eindeutig zur Geltung der Menschenrechte. Alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beigetreten, deren Einhaltung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überprüft werden kann. Folgt man der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, so ist die Würde des Menschen eine Art Leitmotiv für alle anderen Bestimmungen des Grundgesetzes – der Geltungsbereich ist unbegrenzt und erstreckt sich auf alle Bereiche der staatlichen Gemeinschaft. Menschenrechte sind universell und unabdingbar: Sie stehen allen Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder Alter zu.


Die Grund- und Menschenrechte als Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geben wesentliche Inhalte und Maßstäbe auch für die Kriminalpolitik vor. Anerkennen muss man wohl, dass neben den sehr konkreten Mindeststandards vom Folterverbot über das Verbot grausamer und unmenschlicher Behandlung bis zur Unschuldsvermutung die Allgemeinen Menschenrechte für die aktuelle Kriminalpolitik wenig direkte Orientierung bieten. Dennoch bilden die verschiedenen Menschrechtskonventionen die Grundlagen und gleichzeitig die Grenzen für jeden staatlichen Eingriff in die Grundrechte des Menschen. Wie steht es also um die Menschenrechtsorientierung in der aktuellen Kriminalpolitik? Dies lässt sich im Rahmen eines Editorials nicht ausreichend beantworten. Die aktuellen Tendenzen in der deutschen Kriminalpolitik zeigen zumindest den Bedarf auf, sich mit der Menschenrechtsorientierung intensiver auseinandersetzen zu müssen. Die Tendenzen lassen sich unter den Schlagwörtern „Verschärfung und Vorverlagerung der Strafbarkeit“, „Erweiterung eines repressiven Strafrechts um präventive Elemente“ (Stichwort „Verfolgungsvorsorge“), „Zunahme eines ‚symbolischen‘ Strafrechts“ (Rückgang bekannt gewordener Straftaten und gleichzeitiger Anstieg der Anzahl der Strafnormen) sowie „fehlende einheitliche kriminalpolitische Linie“ zusammenfassen. Mit Blick auf den Strafvollzug muss man feststellen, dass nach der Föderalismusreform das noch im Strafvollzugsgesetz des Bundes primär formulierte Vollzugsziel der Resozialisierung dem „Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten“ weichen musste und vielfach nur noch als sekundäres Vollzugsziel genannt wird.


Für den Vollzug gilt ebenso, dass jegliche Entscheidung, die zur Einschränkung der Grundrechte führt, wie durch freiheitsentziehende Maßnahmen, verfassungskonform sein muss. Damit schließt die Schutzgarantie der Menschenwürde auch die staatlichen Institutionen wie den Vollzug ein. Keine Frage gehört der Vollzug zu den schwerwiegendsten Eingriffen des Staates in die Grundrechte einer Person. So müssen die Ausgestaltung des Vollzuges sowie der zeitliche Rahmen der Freiheitsentziehung den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien entsprechen.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Grundrechten eines jeden Menschen, wie sie in den Menschenrechtskonventionen formuliert sind, für den Umgang mit straffälligen Menschen? Wie lässt sich in der Straffälligenarbeit die Würde des Menschen achten? Wie lässt sich staatliches Strafen unter Wahrung der Menschenwürde legitimieren? Wie lassen sich menschenrechtskonforme Haftbedingungen schaffen? Das vorliegende Heft lädt Sie dazu ein, über diese und weitere Fragen nachzudenken.

Ich wünsche Ihnen Frohe Festtage, bleiben Sie gesund!

Ihr Daniel Wolter
Vorstandsmitglied der BAG-S

 

Lesen Sie hier den Artikel von David Mühlemann "Resozialisierung - Plädoyer für einen Neustart".