Ersatzfreiheitsstrafe hat ausgedient

Professor Bernd Maelicke, Experte in der Sozialen Strafrechtspflege, hat neun Thesen vorgelegt, in denen er aufzeigt, warum es an der Zeit ist, sich auch in Deutschland von der Ersatzfreiheitsstrafe als Drohkulisse zu verabschieden.

1. Bereits 1990 hat Prof. Frieder Dünkel vom damaligen Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI - Freiburg) in einer empirischen Untersuchung zur Gefangenenstruktur in den Gefängnissen in Schleswig-Holstein festgestellt, dass 39 Prozent der aus dem Männervollzug Entlassenen und sogar 44 Prozent des Frauenvollzugs lediglich eine Ersatzfreiheitsstrafe (EFS) verbüßt hatten. Nach Dünkel ein gigantisches Ausmaß von Fehlbelegungen mit enormen Kostenfolgen für die Justiz-Haushalte.

2. Die meisten Entlassenen hatten nur geringfügige Schäden verursacht, vor allem bei Schwarzfahrern und Warenhaus-Diebstählen hätte eher der Weg des Zivilrechts zur Regulierung des Schadens geführt.

3. Durch Ausweitung von Projekten der Gemeinnützigen Arbeit anstatt Ersatzfreiheitsstrafen wurde in Schleswig-Holstein und auch bundesweit versucht, massiv gegenzusteuern – insbesondere durch Projekte wie "Schwitzen statt Sitzen" oder auch durch "Gemeinnützige Arbeit" im Vollzug. Allerdings hat dies nichts an der grundsätzlichen Problematik und an der Verbreitung der EFS geändert.

4. Auch im neuen Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin finden sich nur allgemeine Aussagen zur "Überarbeitung des Sanktionensystems einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen", obwohl zahlreiche Experten und Dachverbände sehr detaillierte Vorschläge zur Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen vorgelegt hatten.

5. Soziale Ungleichheit in der Vollstreckung von Sanktionen muss also weiterhin festgestellt werden – wer die Geldstrafe bezahlen kann, kommt nicht ins Gefängnis, wer nicht zahlen kann, muss in den Knast: Gefängnisse wurden im Mittelalter als "Armenhäuser" eingeführt, für Teilbereiche unseres Vollzugssystems gilt dies noch immer.

6. Bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe hat der Richter ausdrücklich eine Freiheitsstrafe nicht für erforderlich gehalten, erst die Ersatzfreiheitsstrafe wandelt dies in Freiheitsentziehung um, ohne dass zum Beispiel die Erwachsenengerichtshilfe zur Sinnhaftigkeit ein Votum abgegeben hat. Viele Kriminologen und Strafrechtler halten dies für das Gegenteil einer "Sozialen Strafrechtspflege".

7. Die resozialisierende Wirkung von kurzen Freiheitsstrafen ist äußerst begrenzt, auch dies hatte Prof. Dünkel bereits in den 1990er Jahren festgestellt. Die sozialen Probleme vor und nach der Entlassung bleiben bestehen bzw. verstärken sich noch.

8. Die Forderung nach Abschaffung der EFS muss also bestehen bleiben, die "Gemeinnützige Arbeit" als Alternative oder auch während des Vollzugs ist rechtsstaatlich geboten.

9. Schleswig-Holstein hat im Vergleich zu anderen Bundesländern die geringste Inhaftierungsquote –  leider gilt dies nicht für die EFS. Es besteht also Handlungsbedarf.

 

Quelle:

Förster, Holger (2022): Ersatzfreiheitsstrafe abschaffen. In: Hempels - Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein #309, S. 13-14