Bundessozialgericht: Deckung von Reisekosten zum Besuch volljähriger Kinder in einer Sondersituation

In einem wegweisenden Revisionsurteil entschied das Bundessozialgericht erstmalig, dass Reisekosten zum Besuch volljähriger Kinder in einer Sondersituation vom Jobcenter zu übernehmen sind.

Auslöser war die Forderung einer Klägerin, die vom Jobcenter höhere Leistungen für Besuche ihrer zunächst in Ungarn inhaftierten Tochter beantragte. Der Antrag wurde von dem beklagten Jobcenter abgelehnt. Die Klägerin blieb vor dem zuständigen Sozialgericht (S 20 AS 3257/10, 10.01.2014) sowie Landessozialgericht (L 3 AS 428/14, 17.11.2016) mit ihrem Begehren auf Zahlung von insgesamt 2.570 Euro für monatliche Reisekosten zur Tochter im Zeitraum von Januar 2010 bis Januar 2011 erfolgslos. Die Ablehnung wurde damit begründet, bei der geforderten Leistung handle es sich um keinen existenznotwendigen Bedarf, da die Tochter bereits volljährig war.

Das Bundessozialgericht (BSG) äußerte hingegen, zwar sei der Auffassung des LSG dahingehend zuzustimmen, dass die bisherige Rechtsprechung zur Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit minderjährigen Kindern nach § 21 Abs 6 SGB II nicht auf Besuche zwischen Eltern und volljährigen Kindern nicht übertragen werden kann. Dennoch kann in einer Sondersituation aus dem Härtefallmehrbedarf ein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für den Besuch eines nahen Angehörigen, z.B. bei dessen Inhaftierung – unabhängig ob im In- oder Ausland – abgeleitet werden. Der Härtefallmehrbedarf dient der Realisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 – 260).

Nach dem erst jetzt bekannt gewordenen Urteil des BSG vom 28.11.2018 (B 14 AS 48/17 R), sind vom Jobcenter gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zur Deckung von Reisekosten zum Besuch volljähriger Kinder in einer Sondersituation (hier: Verhängung von Untersuchungshaft in einem anderen Staat wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einem Tötungsdelikt) engen Angehörigen zusätzliche existenzsichernde Leistungen zu bewilligen.

Auf andere Weise nicht gedeckte, fortlaufend entstehende Aufwendungen zum Aufsuchen inhaftierter Verwandter können hier durchaus einen Härtefallmehrbedarf darstellen.

Ein Jobcenter hat Abweichungen von dieser Regelung stets besonders zu begründen. Hierauf ist in der Praxis der Straffälligenhilfe zu achten.
 

 


Quelle: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2018/2018_11_28_B_14_AS_48_17_R.html


Die BAG-S dankt Herrn Dr. Manfred Hammel für den Hinweis auf diese relevante Rechtsprechung.