BRAK fordert Entkriminalisierung

Bei "Verhaltensweisen im heutigen Massenverkehr, die sich auf das bloße Ausnutzen fehlender Kontrollen beschränken und keine Täuschung darstellen, erscheint die Anwendung des Strafrechts nicht angemessen." heißt in einer aktuellen Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer.

Unter der Überschrift: "Weniger ist mehr – den Rechtsstaat stärken durch Entkriminalisierung. Vorschläge der Bundesrechtsanwaltskammer für die 20. Legislaturperiode" setzt sich die Organisation unter anderem für die Entkriminalisierung des "Schwarzfahrens" und des Cannabiskonsums ein. Auf Seite 5 wird die Forderung hinsichtlich des Tatbestands Leistungserschleichung näher erläutert: "Das Strafrecht dient beispielsweise den Verkehrsbetrieben derzeit zur Externalisierung interner Kosten, die andere Anbieter am Markt selbst tragen müssen. Denn die Strafbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein (§ 265a StGB) hat es den Leistungserbringern erst ermöglicht, Zugangssperren abzubauen und auf das Begleitpersonal in den Zügen und Bussen mehr und mehr zu verzichten.

Personen, die ohne Fahrschein angetroffen werden, haben zudem die Möglichkeit, sich durch sofortige Zahlung eines erhöhten Beförderungsentgelts der Feststellung der Personalien durch die Strafverfolgungsbehörden und damit der Strafverfolgung zu entziehen. Wer ohne Parkschein parkt, schädigt das Vermögen der Kommune, läuft allerdings lediglich Gefahr, einen Bußgeldtatbestand zu verwirklichen. Dies allein zeigt, dass die Kriminalstrafe zum Schutz des Vermögens der Verkehrsbetriebe nicht unabdingbar ist.

In besonderem Maße gegen das Übermaßverbot verstoßen die Verhängung von Freiheitsstrafe oder der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafe in diesem Bereich. Die Tatbestandsalternative „Erschleichen von Leistungen“ in § 265a StGB sollte daher zugunsten eines neuen Bußgeldtatbestands gestrichen werden, wobei den Verkehrsbetrieben die Durchsetzung ihrer Ansprüche durch ein Festhalterecht in Anlehnung an § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ermöglicht werden könnte. Durchgreifende verfassungsrechtliche Gründe, die den Bundesgesetzgeber hindern würden, § 46 Abs. 3 S. 1 OWiG zu ändern und ein entsprechendes Festhalterecht bereichsspezifisch für die (künftige) Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der Beförderungserschleichung zu normieren, bestehen nicht."

Auf Seite 10 folgen die Überlegungen zu einer Entkriminalisierung der künftigen Drogenpolitik in Deutschland:

"Laut einer vom Bundesgesundheitsministerium im Jahr 2015 in Auftrag gegebenen Studie13 ist Cannabis die in den Ländern Europas am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Etwa 26,3% bzw. rund 87,7 Millionen Bürger der EU im Alter von 15-64 Jahren haben in ihrem Leben Erfahrung mit Cannabis gemacht. Von den insgesamt erfassten Fällen von Rauschgiftkriminalität entfallen rund 57% auf Cannabisdelikte und binden Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in erheblichem Umfang mit der Abarbeitung von bloßen Bagatelldelikten. Der dafür in Anspruch genommene Gesetzeszweck „Schutz der Gesundheit“ vermag dies nach derzeitigem Kenntnisstand jedenfalls nicht mehr zu rechtfertigen. Bei den Modellversuchen mit staatlich reglementierter und kontrollierter Abgabe von Cannabisprodukten u.a. in den Niederlanden, der Schweiz, in Spanien, Portugal und in den USA (Colorado und Washington) haben sich entgegen landläufiger Behauptung keine wesentlichen Einstiegseffekte gezeigt. Stattdessen wird durch die Strafvorschriften die übergroße Mehrzahl der volljährigen Konsumentinnen und Konsumenten, die keinen riskanten Gebrauch von Cannabis praktiziert, einer unverhältnismäßigen Kriminalisierung und Stigmatisierung ausgesetzt, in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in unverhältnismäßiger Form bei einer bloßen Selbstgefährdung eingegriffen und einem unkontrollierten Schwarzmarkt ohne jeglichen Jugend- und Verbraucherschutz Tür und Tor geöffnet. Die 89. Justizministerkonferenz am 6./7. Juni 2018 hat zudem festgestellt hat, dass die Richtlinien der Länder zur „geringen Menge“ i.S.v. § 31a BtMG nach wie vor uneinheitlich sind. Die unterschiedlichen -  von  Nord  nach  Süd  sich  verschärfenden  -  Einstellungspraktiken,  Strafhöhen,  Sanktionsformen  und Haftbedingungen waren und sind verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich."