AWO Positionspapier zur Cannabisdebatte

Der AWO Bundesverband hat ein Positionspapier zur Cannabisdebatte herausgegeben. In dem Papier "Regulierung statt Repression" spricht sich der Verband für eine regulierte Abgabe von Cannabis aus.

Einleitung

Der Ursprung der aktuellen internationalen Übereinkommen zum Rauschmittelverbot liegt in den USA der 30er Jahre und gipfelte in den 70er Jahren in den „Krieg gegen die Drogen.“ Die Erkenntnis, dass der Konsum, die Nachfrage und das Angebot von illegalen Drogen durch die Strafverfolgung nicht nachhaltig beeinflusst werden, stellt diese Strategie nun zunehmend in Frage.
Eine britische Studie benennt und differenziert zudem die gesundheitlichen, psychischen und gesellschaftlichen Folgen des Konsums der verschiedenen Rauschmittel und kommt zu dem Ergebnis, dass die Risiken durch legale Rauschmittel wie Alkohol und Tabak deutlich höher einzustufen sind als z. B. durch Cannabis (Nutt 2015).
Vor diesem Hintergrund haben sich (ehemalige) Politiker/innen aus aller Welt zusammengeschlossen und ein Ende des Krieges gegen die Drogen gefordert (Global Commission 2014). Sie setzen sich unter anderem dafür ein, einen großen Teil der derzeit für Repression zur Verfügung gestellten Ressourcen und Mittel zukünftig stattdessen für den Ausbau der Präventions- und Interventionsangebote zu nutzen.
Cannabis ist mit großem Abstand die am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Unterschiedliche Schätzungen gehen von bis zu 4 Millionen Cannabiskonsumenten/innen in Deutschland aus. Cannabis hat sich also in unserer Gesellschaft bereits etabliert. Die Versorgung dieser Konsumenten/innen wird indes über kriminelle Organisationen und Strukturen sichergestellt. „Der Umfang des Cannabismarkts in Verbindung mit einem zunehmenden Anbauvolumen im Inland führte dazu, dass diese Droge als Einkommensquelle für Gruppen der organisierten Kriminalität immer mehr an Bedeutung gewonnen hat“, ist z.B. im Bericht der EMCDDA (europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht) für das Jahr 2014 zu lesen.

Bio-psycho-soziale Ursachen und Risiken des Rauschmittelkonsums

Rauschmittelkonsum ist immer auch mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Schon Paracelsus erkannte: Erst die Dosis macht das Gift. Demnach entscheiden überwiegend die Konsumform und die Konsummotivation über das Abhängigkeits- und Krankheitsrisiko. Geschätzt entwickeln weltweit 10% der Konsument/innen von Rauschmitteln eine Abhängigkeit (Hari 2015). Geht man der Frage nach, welche Risikofaktoren eine Abhängigkeit fördern, so werden genetische Risikofaktoren (z.B. abhängiger Elternteil) ebenso benannt wie Umwelt- und Sozialisationsfaktoren. Abhängigkeit wird daher als bio-psycho-soziales Krankheitsmodell definiert.
Amerikanische Forscher/innen stellten fest, dass traumatische Erfahrungen vor allem in Kindheit und Jugend, überproportional häufig als auslösender Faktor vorliegen. Aber auch fehlende befriedigende soziale Kontakte und das Nicht-Eingebundensein in soziale Netzwerke sind zentrale Risikofaktoren (Hari 2015).
Der missbräuchliche Konsum von Rauschmitteln stellt daher aus Sicht der Suchtforschung u.a. den Versuch dar, unangenehm oder belastend erlebte psychische Empfindungen zu vermeiden oder zu verdrängen. Selbst eine leistungssteigernde Absicht des Konsums dient dazu, sich vor unangenehmen Konsequenzen zu bewahren. Werden keine Handlungs- oder Lösungsalternativen für die bestehenden Auslösefaktoren gefunden, entwickeln sich abhängige Konsummuster. Jugendliche, die früh mit dem Konsum beginnen und Personen mit psychischen Störungen (etwa frühe Gewalterfahrung sowie andere traumatisierende Belastungen) haben ein zusätzlich höheres Risiko, problematische oder abhängige Konsummuster zu entwickeln.
Neben der möglichen Abhängigkeitsentwicklung beinhaltet der Rauschmittelkonsum weitere Risiken. So sind bei verschiedenen Mitteln Todesfälle durch Überdosierungen möglich (z.B. Heroin, Alkohol). Körperliche Folgeerkrankungen sind ebenfalls bei andauerndem Missbrauch auf Grund der Toxizität der Substanz möglich (Alkohol als Zellgift, Nikotin), bei anderen Substanzen liegen Risiken im psychischen Bereich vor (z.B. Angst- und Panikstörungen). Für Cannabis werden derzeit in der Forschung sowohl spezifische hirnorganische Risiken beschrieben, aber auch positive Effekte wurden erforscht. Die Ergebnisse sind teilweise jedoch widersprüchlich, da z.B. genetische Vorbelastung und Alter der Konsumierenden unterschiedlich Einfluss auf die Risikofaktoren nehmen. Für die illegalen Rauschmittel sind Folgeerkrankungen auf Grund der Beimischungen z.B. von Streckmitteln zu beobachten. Eine regulierte Abgabe von Cannabis sorgt in diesem Fall für eine Kontrolle des THC-Gehaltes sowie der Reinheit des Produktes und kann somit gesundheitliche Risiken senken.

Die Ursache des übermäßigen Konsums von Rauschmitteln ist individuell durch genetische, psychische und soziale Faktoren begründet. Die Risiken des Konsums von Cannabis werden in der Wissenschaft unterschiedlich hoch eingeschätzt. Einigkeit besteht aber darin, dass Konsumierende von THC-haltigen Produkten derzeit ein zusätzliches gesundheitliches Risiko eingehen, da der Erwerb nur auf dem Schwarzmarkt möglich ist. Ebenso birgt der Mischkonsum von Cannabis und Tabak aufgrund unterschiedlicher Wirksamkeit im Körper hohe Gesundheitsrisiken.

Perspektiven für eine regulierte Abgabe

Die Diskussion über die rechtliche Regelung des Rauschmittelkonsums hat in den letzten Jahren in der Bundesrepublik an Intensität zugenommen und lässt sich u.a. an folgenden Wegmarken festmachen:

  1. Es wurden in den letzten Jahren diverse rechtliche Regelungen zum Nichtraucherschutz umgesetzt (Rauchverbote, Anhebung des Mindestalters auf 18 Jahre).
  2. Anträge zur Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken wurden z.B. von Ärztevertretungen gestellt.
  3. Es ergingen Gerichtsurteile zum erlaubten Cannabiskonsum bei spezifischen Krankheitsbildern.
  4. Es gibt vermehrte Diskussionen über die durch Repression entstehenden Kosten bei Polizei und Justiz.
  5. Die Ausgaben für Repressionen in Deutschland sind 9-mal höher als die Ausgaben für Hilfsangebote.
  6. Es findet in der Wissenschaft eine Neubewertung der psychischen, gesundheitlichen und sozialen Folgen des Konsums von Rauschmitteln statt.
  7. Es gibt keine einheitliche Festschreibung der Höchstmengenverordnung aller Bundesländer.
  8. Es wurden und werden diverse Entscheidungen von Entkriminalisierung bis hin zur Legalisierung des Cannabiskonsums in europäischen Ländern sowie verschiedenen US- Bundesstaaten getroffen.

Auch in den AWO-Einrichtungen der Suchthilfe spiegelt sich die Entwicklung des Konsumverhaltens in den Klienten/innenzahlen wider. So konnte in den letzten Jahren beobachtet werden, dass

  1. die Zahl der Cannabiskonsumierenden durch eine Zunahme der Inanspruchnahme von Beratung sichtbarer geworden ist.
  2. die Zahl der Inanspruchnahme von Beratung bei exzessiven Rauschtrinken („Komatrinken“) zugenommen hat.
  3. Cannabis eine dauerhafte, alters- und milieuübergreifende Präsenz in der Gesellschaft entwickelt hat.
  4. Cannabisprodukte vom Schwarzmarkt keinerlei Qualitätskontrollen über THC-Gehalt und Reinheit unterliegen.
  5. zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen auf die sogenannten Legal Highs ausgewichen wird.

In den Suchthilfestatistiken werden jedoch nicht die unterschiedlichen Konsummuster abgebildet. Eine deutliche Zunahme der Klient/innen ist nicht zwangsläufig auf eine Zunahme von problematischen oder abhängigen Konsummustern zurückzuführen. Insbesondere junge Cannabiskonsumenten/innen kommen häufig auf richterliche Anweisung (FreD-Kurse) mit einer Beratungsauflage in die Beratungsstellen. In vielen Fällen liegt dabei kein problematischer oder abhängiger Konsum vor. Daher kann es zu Fehlinterpretationen über die Risiken des Konsums kommen, da impliziert wird, dass in die Beratungsstelle nur diejenigen kommen, die ein Abhängigkeitsproblem haben. Bei einer differenzierten Auswertung der Einrichtungsdaten bezüglich der Konsummuster (risikoarmer, problematischer oder schädlicher Konsum, Abhängigkeit) ergäbe sich ein deutlicheres Bild.

Cannabiskonsumenten/innen haben zum Teil gravierende soziale Konsequenzen zu tragen. Zu diesen Konsequenzen gehören polizeiliche Ermittlungen, Prozesse mit Strafmaßen von Beratungsauflagen bis hin zu (Bewährungs-)Haftstrafen und Schulverweise von bekannt gewordenen Cannabiskonsumenten/innen. Dies ist nicht nur stigmatisierend, sondern wirkt sich auch negativ auf die weitere Entwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus. Von erheblichen negativen, teils traumatisierenden Folgen für junge Konsumenten/innen von Cannabis durch Festnahmen, Ermittlungen und Verurteilungen durch ein überhartes Vorgehen der Polizei wird ebenfalls berichtet. Hier gibt es in Deutschland ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Eine bundeseinheitliche Regelung fehlt wie bei der Festschreibung der Höchstmengenverordnung auch hier.
Berücksichtigen wir die oben genannten gesundheitlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen des Konsums, halten wir eine Änderung der derzeitigen Strukturen und Rechtslage für dringend notwendig. Erfahrungen aus anderen Ländern sprechen dafür, dass ein Ende der Repression gegenüber Cannabiskonsument/innen zu keiner dauerhaften Zunahme der Konsumierenden führt.

In der Diskussion über eine veränderte Cannabispolitik halten wir aber auch Begriffe wie Freigabe oder Entkriminalisierung für schwierig, da sie Assoziationen eines ungehinderten Zugangs für Jede/n auslösen. Aus unserer Sicht ist eine Regulierung der Abgabe von Cannabis eine alternative Sichtweise.

Im Einzelnen halten wir die folgenden Aspekte für eine solche regulierte Abgabe von Cannabis für wesentlich:

  1. Die Abgabe von Cannabis sollte nur durch dafür lizensierte Abgabestellen erfolgen dürfen. Diese Abgabe darf nur durch Personal erfolgen, das zur Wirkung von Cannabis, zur Entwicklung von Abhängigkeit und zur Suchtprävention geschult ist. Hinweise zum risikoarmen Konsum (Konsumkompetenz) und zu einer verantwortungsvollen Produktberatung sind bei der Abgabe obligatorisch. Die Vorgaben werden regelmäßig überprüft. Es empfiehlt sich eine enge Kooperation mit den Drogenberatungsstellen, vor allem zum Safer-Use.
  2. Cannabis darf nur an Personen abgegeben werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.
  3. Die Abgabemenge pro Person und Tag muss begrenzt werden.
  4. Abgabestellen dürfen nicht in der Nähe von Schulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen eingerichtet werden.
  5. Für die Cannabisprodukte und die Abgabestellen darf nicht geworben werden.
  6. Die Einnahmen aus dem Verkauf werden besteuert.
  7. Den steuerlichen Mehreinnahmen aus dem Verkauf von Cannabis werden zum Ausbau von Angeboten und Projekten zur Suchtprävention sowie zur Rehabilitation eingesetzt.
  8. Bei der Entwicklung eines Konzepts zur regulierten Abgabe sollten die Erfahrungen der europäischen Nachbarn (Niederlande, Portugal) einbezogen werden
  9. In Pilotprojekten kann ggf. die Umsetzung einer regulierten Abgabe erprobt werden.

Von den Regelungen einer regulierten Abgabe bleiben weitere rechtliche Regelungen unberührt. So dürfen die Regelungen zum Nichtraucherschutz aus gesundheitlichen Gründen weder gelockert noch verharmlost werden. Auch gilt nach wie vor ein Fahrverbot unter nachgewiesenem Cannabiseinfluss. Allerdings sollte hier ein realistischer Grenzwert für im Blut nachgewiesene aktive Wirkstoffe festgelegt werden. Zugleich gilt wie beim Konsum von Alkohol und anderen psychoaktiven Substanzen, dass in Ausbildung und Schule, am Arbeitsplatz und während der Schwangerschaft auf den Cannabiskonsum verzichtet wird.

Der AWO ist bewusst, dass die Entscheidung für eine freizügigere Cannabispolitik nicht leicht ist. Auch in den Suchtberatungsstellen wurden und werden kontroverse Diskussionen über Vor- und Nachteile einer Änderung des Betäubungsmittelrechtes geführt. Ängste und Vorbehalte sollten ernst genommen werden und in einen konstruktiven Dialog einfließen. Trotzdem sind wir überzeugt davon, dass die derzeit gängige Praxis bezüglich Cannabis insgesamt mehr Probleme für Einzelne und Kosten für die Allgemeinheit schafft, als dass sie solche vermeidet.
Die Arbeiterwohlfahrt und ihre Suchtberatungsstellen sind gerne bereit, sich auf allen Ebenen an diesem Diskussions- und Entwicklungsprozess für eine veränderte Cannabispolitik zu beteiligen.

LINK zum PDF: AWO Positionspapier "Regulierung statt Repression"


Literatur- und Linkhinweise:

EMCDDA 2014: Europäischer Drogenbericht 2014
www.emcdda.europa.eu/attachements.cfm/att_228272_DE_TDAT14001DEN.pdf

Global Commission: Bericht der Globalen Kommission zur Drogenpolitik 2014 www.globalcommissionondrugs.org/wp-content/uploads/2016/03/GCDP_2014_taking- control_DE.pdf

Hari, Johann, 2015: Drogen – die Geschichte eines langen Krieges.

Nutt, David in: Böckem, J.; Jungaberle, H. (Hrsg.), 2015: High sein: Ein Aufklärungsbuch.